laut.de-Kritik

Entschlackt von allem Überflüssigen bleibt das Elementare übrig.

Review von

"What happened to the whispers?" fragt Tina Dico im Titeltrack ihres neunten Studioalbums. Nach Abstechern an die Chartspitze in ihrer Heimat Dänemark, Kollaborationen mit dem Danish National Chamber Orchestra und produktiven Jahren in London hat die Sängerin in Island eine neue Heimat gefunden. Das dortige Studio teilt sie sich nur mit Lebensgefährte Helgi Jonsson und hat so alle Fäden selbst in der Hand. Bereits zum Jahrtausendwechsel gründete die Songwriterin ihr eigenes Label "Finest Gramophone", um ihre Musik ganz ohne Fremdeinwirkungen produzieren zu können.

"Whispers" meidet gigantische Orchester-Arrangements und frühere Electronic-Spielereien, der Fokus liegt auf reduzierten, leisen Klängen, ohne dass Dico ihre Folk-Wurzeln aus den Augen verliert. "[...] das Ausbleiben von vordergründigen Attitüden und von Bühneninszenierung [...] lässt nichts übrig, hinter dem man sich verstecken könnte. Was bleibt, ist ein Mensch mit einem Song", so die Dänin. Dass man nicht brüllen muss, um seine Hörer zu erreichen, bewies sie mit vergangenen Releases schon mehrfach. "Whispers" ist aber noch dezimierter, die Produktion entschlackt von allem Überflüssigen.

Um das Album inhaltlich nachzuvollziehen, muss man wissen, dass die Arbeit daran dem dänischen Film "En du elsker" entsprang. Fünf Songs steuerte die Sängerin zu dessen Soundtrack bei, die gleichzeitig das Fundament von "Whispers" bilden. Inhaltlich taucht Dico vollkommen in die Welt des männlichen Hauptcharakters ein und schreibt fast alle Songs aus dessen Sicht. Als Songwriterin sei diese Arbeitsweise für sie sehr befreiend gewesen, da sie sich "ungeachtet der Eitelkeiten und Selbstzensuren", präsentieren konnte, die ihr beim Schreiben über sich selbst oft im Weg standen.

Zeilen wie "All My Clothes For The Woman Downstairs" im Opener sind demnach dem Film-Protagonisten zuzuordnen, einem alternden Musiker, der abseits des Tourlebens von mangelnder Liebe geprägt ist. Dicos Stimme fängt dessen Melancholie und Schwermut perfekt ein. "Someone You Love" als erste Singleauskopplung handelt von Reue und der Rückkehr zu Jemandem, den man in der Vergangenheit emotional verletzt hat: "Oh lord if I had known / that love would be your punishment / I would have kept my word".

Überhaupt ist Liebe das dominierende Thema des Longplayers: Der bittere Country-Stampfer "As Far As Love Goes" und die elektro-akustische Verknüpfung "You Don't Step Into Love" widmen sich deren umsichtiger Erforschung, die inneren Kämpfe des Protagonisten animierten Dico auch unabhängig des Films dazu, "wieder über Zustände wie Liebe zu schreiben und darin einzutauchen" heißt es.

"Drifting" ist die Inspiration durch ihre neue Heimat Island deutlich anzuhören: Dico singt zu den Tönen eines Holzblasinstruments darüber, wie weit sie sich inzwischen vom Meeresufer entfernt hat. Die ansteigende Lautstärke verhindert aber nicht, dass der Song eher müde vor sich hinplätschert. In "Mines" kränkelt außerdem das sonst evidente Storytelling: "And it stinks, yes it burns / When it ends and the bubble burns / And it makes no sense to speak these words", schmälert den positiven Gesamteindruck aber nur minimal.

"Oh sweet nothing!" aus dem Titeltrack wird zum Motto des Gesamtwerks: Alles Unnütze wurde entfernt, der Klang auf Elementares reduziert. Der Eingängigkeit vieler Songs tut das aber keinerlei Abbruch. "Old Friends" mausert sich zum heimlichen Höhepunkt des gut 40-minütigen Longplayers: Der Refrain offenbart echtes Ohrwurm-Potential und erinnert an Norah Jones zu ihren besten Zeiten. "Whispers" mag größtenteils vom Denken eines fremden Charakters inspiriert sein, auch einen klassischen Hit sucht man hier vergeblich: Lässt man sich aber auf den minimalistischen Sound ein, präsentiert Dico mit ihrer einzigartigen Stimme und gefühlvollen Texte ein starkes Album. Weniger ist manchmal eben mehr.

Trackliste

  1. 1. The Woman Downstairs
  2. 2. As Far As Love Goes
  3. 3. Someone You Love
  4. 4. Drifting
  5. 5. Mines
  6. 6. Whispers
  7. 7. You Don't Step Into Love
  8. 8. Old Friends
  9. 9. I Want You
  10. 10. Thank You

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