laut.de-Kritik

Der alte Crooner hat endlich richtiges Schießpulver im Gewehrlauf.

Review von

Tony Christie: solide gestartet in den Siebzigern mit Hits wie "Amarillo" und "I Did What I Did For Maria", danach versandet als belangloser Schlager- und Schnulzensänger. Produzent Jack White (nein, nicht der, sondern ein Hiesiger mit realem Namen Horst Nußbaum), nahm ihn neben Acts wie Roberto Blanco, Hansi Hinterseer und David Hasselhoff unter seine Fittiche. Wühltisch-Alben der Sorte "Weihnachten Mit Tony Christie" seien verziehen und vergeben. Denn mit "Now's The Time!" springt der lang misshandelte Brite zurück in den Parcours ernstzunehmender Pop-Künstler.

Bereits das von den Sünden der Vergangenheit entschlackte "Made in Sheffield" ließ 2008 aufhorchen. Hier nun trockene Sixties-Drums, Tempo, Drive und jede Menge Energie: der Titeltrack als Opener lässt auf Anhieb verwundert die Augen reiben. Im beatgetränkten "Money Spider" zieht Christie ironisch die Bilanz seines bisherigen musikalischen Schaffens. Lee Hazlewood-Sounds reflekiert der Brite superb in Kombination mit einer einsatzfreudigen Roisin Murphy in "7 Hills".

Für den gleichermaßen elegant wie druckvoll inszenierten Midtempo-Schmachtfetzen "Nobody In The World" steht - tadellos adaptiert - das Output Burt Bacharachs Pate. Lässig croont Tony seine Liebste an und klaut nebenbei James Bond-Soundtracks mit geübtem Schwung den Martini. Dezent eingespielte Background-Parts und voluminös intonierter Northern Soul-Gesang komplettieren den hervorragenden Gesamteindruck dieses Auftritts.

Fette Pluspunkte sammelt Christie dank der Vorgehensweise, ausschließlich brandneue Tracks einzuspielen. Mehr noch: im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen präsentiert Tony nicht einfach einen weiteren Longplayer im mittlerweile schon ziemlich arg strapazierten Retro-Style. Seine Interpretationen des ewig jungen Gestern atmen durchweg frisches, echtes Leben.

Jarvis Cockers Beitrag "Get Christie" zählt zu den stärksten Nummern des Albums. Punktgenau - und mit viel Respekt - schneidert Tony ihm die cineastisch inszenierte Momentaufnahme eines einsam am Pier stehenden, doch nie lebensverzagten alten Mannes auf den Leib. Der kritisch persönliche Rückschau hält, dies mit stets aufrechter Haltung. Seine frühen Jahre geht Tony ohne Bitterkeit an, gepaart mit dem selbstbewusstem Wissen um eine eine immer mögliche, zweite Chance.

"Workin' Overtime" kann keine Neukomposition sein, hier muss es sich um ein Archiv-Fundstück handeln. Wunderbar stilecht erwachen mit swingenden Schellen jahrzehntealte Motown-Beats zu neuem Leben, im Hintergrund soulen sich Background-Sängerinnen Supremes-mäßig die Seelen aus dem Leib. Ein Saxophon-Part im Schlussdrittel leitet energisch und voller Inspiration den Song-Höhepunkt ein.

Im Grande Finale "Something Better" läuft Tony nach einfühlsamem Piano-Intro noch einmal zur Beat-Höchstform auf. Vielleicht beginnt die eigentliche Karriere des Briten erst jetzt - dies sei ihm nach der Leistung auf "Now's The Time!" von Herzen gegönnt. Wer eine hochklassige Pop-Platte für den Herbst sucht, darf Cockers Empfehlung "Get Christie" voll und ganz vertrauen. Denn 2011 hat dieser wunderbare Old Fashioned-Tenor endlich das richtige Schießpulver in seinem Gewehrlauf.

Trackliste

  1. 1. Now's The Time!
  2. 2. Money Spider
  3. 3. 7 Hills
  4. 4. Nobody In The World
  5. 5. Steal The Sun
  6. 6. Longing For You Baby
  7. 7. Get Christie
  8. 8. Too Much Of The Sun
  9. 9. Key Of U
  10. 10. Workin' Overtime
  11. 11. I Thank You
  12. 12. Something Better

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