laut.de-Kritik
Ob Artenvielfalt wirklich die Lebensqualität steigert?
Review von Michael Schuh"Ich hatte neulich einen Flyer in der Hand, da waren zwanzig Gruppen angekündigt, wovon ich zwei kannte." So klagte Harris, Rapper der Spezializtz im letztjährigen LAUT-Interview über die wachsende Hip Hop-Community seiner Heimat Berlin. Hält man Harris nun für einen Ortskundigen im Weite-Hosen-Land und glaubt man gleichzeitig den Initiatoren von "Berlin Macht Schule", verhält es sich mit der Pop- und Rockszene in Hauptstadt City genauso. Um dieser Malaise entgegen zu treten, haben sich dank Radio Fritz 20 Berlin based Combos auf einem Longplayer versammelt, die aus unterschiedlicheren Proberäumen nicht kommen könnten.
Über Sinn und Gelingen eines solchen Unterfangens darf gestritten werden. Da tummeln sich bereits etablierte Acts wie Paula und das Jeans Team neben einem zahlenmäßig dominierenden Underground, dem dieses Dasein zum Großteil nicht unverdient beschieden ist. Der Start gerät fulminant; wenn die Handclap-Nummer der 2-Raum-Wohnung nicht bald Berliner Grenzen durchbricht, um Inga Humpes neue Combo in den Charthimmel zu beamen, dann sollte man die Scheibe eigentlich gar nicht weiterhören. Das Jeans Team ist ja sowieso Gott und von Commercial Breakup gibt's deren gelungensten Popschwofer auf die Ohren.
Hoffnungsträger der unbekannten Namen sind Sofaplanet, deren Lo-Fi-Ballade "Irgendwie klappt's nicht" vor allem durch die Wah-Wah-Walze im Mittelteil beeindruckt. Am Britpop orientierte Nummern wie von Silent Noize und Killerkouche buhlen mit jugendlichem Leichtsinn und tadelloser 60s Beat-Lektüre um die Hörergunst. Space Kelly schneiden bei der Sorte "Suche Band mit unsinnigen Texten" am lustigsten ab, bei Schrottfisch, es lebe die Suggestion, suche ich dagegen vor allem das Weite. Dito Monasoko Club.
Dem Indie Rock-Anhänger sei Delbo nahegelegt, die in "Simsalonauten" Vertracktheit und Melodie gekonnt vereinen. Veranda sind Pavement light und Mac setzen auf den Dip-Di-Dip-Erkennungswert Marke Hanson ohne wirklich mitzureißen. Toll dagegen: No Undergrounds wabernder Elektrotümpel in der staubigen Laid Back-Wüste. Die gehypten Viktoriapark schwanken zwischen Schönwetter-Pop und Uni-Party-Frohsinn.
Ob Artenvielfalt wirklich die Lebensqualität steigert, müssen in diesem Fall wohl die Berliner selbst entscheiden. Wir anderen picken nach den Rosinen.
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