laut.de-Kritik

Neue Song-Strukturen, minimale Elektronik und hymnengleiche Popsongs.

Review von

"Unser Köln verändert sich ...", ein Slogan, der dem Rheinländer im Alltag ständig begegnet, während er sich durch Baustellen und schiefe Türme den Weg ins Büro bahnt. Ein Motto, das schon vor acht Jahren auch in Musikerkreisen nicht passender hätte formuliert werden können. 1997 setzte der Urkölner Thorsten Lütz im Arbeiterviertel Kalk ("Op der Schäl Sick") sein eigenes elektronisches Pflänzchen namens Karaoke Kalk. Ein Label ohne Scheu und mit Mut zur unbekannten Gattung. Schnell wird aus dem Setzling ein ganzer Stamm von raffinierten und experimentellen Spezies, die sich in der Kölner Elektronik Szene fest verwurzeln. Darüber hinaus verbreiten sich die teils abstrakten und minimalen Techno-Popmelodien weit über Deutschland hinaus. Vor allem in Japan und Amerika blüht und gedeiht das Kalker Saatgut.

Mittlerweile ist der Gründer samt Label nach Berlin gezogen und versucht, hier an seinen Wurzeln festzuhalten und neue, extravagante Samen zu entdecken. Um sich einen bisherigen Überblick über die mehr als 40 Veröffentlichungen des Kölner Labels zu verschaffen, erscheint mit "Kalk Seeds" eine klangvolle Zusammenstellung aller Künstler und Interpreten aus den verschiedensten Orten und Sparten. Schon der erste Track beweist, dass Herr Lütz sich nicht nur auf eine bestimmte Sorte aus dem großen Bereich der Soundwelt einlässt. Mit Roman wagt er sich auf die Popsong-Ebene und präsentiert einen jungen Mann, dessen Stimme wunderbar mit klassischer Instrumentierung und spektakulärer Laptop-Spielerei harmoniert.

Von Hauschka wird man in die Piano-Lounge eingeladen und schlürft gedankenversunken, bei minimaler Verzauberung, an seinem Longdrink. Takagi Masakatsus "Mio Pianto" zeigt einen akustischen Ausflug in die japanische Welt der Manie und Melancholie. Namen wie Pascal Schäfer, März und Donna Regina klingen schon lange weit über die Domstadt hinaus, und mit Kandis und Sora/Wechsel Garland stellen sich die Wegbegleiter der ersten Kalker Stunde mit ihren ebenfalls unverkennbaren Sounds bestens und überaus freundlich vor.

Neben der Elektronik und dem vielfältigen Instrumenteneinsatz erfreut man sich auch über einige wunderbare Gesangeinlagen. Neben dem poppigen Opener "Saving Juno" singen die meisten in englischer Sprache, so auch Toog und auf ihrem in Keyboard schwimmenden "Ugly Ducklings". Kan Daisuke erfrischen mit japanisch-klingenden Tönen, gerne wird die Lyrik auch in deutsche Worte gefasst, wie bei dem blumigen Bläsergewächs "Wir sind Blumen" von Leichtmetall.

"Kalk Seeds" erzählt eine wunderbare Labelgeschichte, die man nicht nur bei Kaffee und Kuchen genießen sollte. Mit diesen rheinischen Früchten kann man träumen oder auch mal ein wenig die Hüften bewegen (Pascal Schäfer). Ob mit neuen Song-Strukturen, minimaler Elektronik oder hymnengleichen Popsongs, Karaoke Kalk wird in Zukunft hoffentlich noch weiter seine Saat verstreuen und für mehr farbenfrohen Wachstum im bunten Musikkosmos sorgen.

Trackliste

  1. 1. Roman - Saving Juno
  2. 2. Hausmeister - Pumer
  3. 3. Sora & Wechsel Garland - Spring
  4. 4. Hauschka - Two Stones
  5. 5. Takagi Masakatsu - Mio Pianto
  6. 6. Kandis - Letter
  7. 7. Le Rok - Directors Cut
  8. 8. Toog - Ugly Ducklings
  9. 9. Pascal Schäfer - Tic Tic
  10. 10. Donna Regina - Slow Killer
  11. 11. Kuchen meets Mapstation - Kmm
  12. 12. Takeo Toyama - Der Meteor
  13. 13. Leichtmetall - Wir sind Blumen
  14. 14. Kan Daisuke - Xi-Huan8
  15. 15. Poto & Cabengo - Suevian Rhapsody
  16. 16. März - Welt am Draht

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