laut.de-Kritik
Durchwachsene Geschichts-Stunde der deutschen Pop-Musik.
Review von Philipp SchiedelDer deutsche Einfluss auf die Musik ist nicht zu leugnen. Durch den guten Ruf von Bands wie den Einstürzenden Neubauten oder Can, die im Ausland sogar mehr beachtet bzw. geschätzt werden als in ihrer Heimat, ist "Made In Germany" auch auf CD ein Gütesiegel. Deutschland muss sich im internationalen Vergleich keineswegs verstecken.
Die Fachzeitschrift "Musikexpress" versuchte bereits im Februar 2001 mit Hilfe von einigen Musikern, Kennern und Medienbossen die fünfzig besten deutschen Platten zusammen zu stellen. Kurz danach rannten die Querulanten ("Alles subjektiv", "Was ist mit ... ?") buchstäblich die Redaktionsräume ein und forderten die Aufnahme ihrer deutschen Lieblingsplatte in die Liste. Daraus resultierte nun die Aufstockung zum Buch "Die Hundert Besten Deutschen Platten". Begleitend dazu gibt es die "Made In Germany"-CD mit allerhand deutschen Hits von NDW über Deutsch-NDW bis hin zu Electronica.
Nach dem Durchhören ist man sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob man nun auf die heimische Musikszene stolz sein soll oder seine Herkunft gegenüber ausländischen Musikfreaks lieber verschweigt. Der Großteil der NDW-Hits eignet sich doch eher für Partys von Kindern der 80er, die früh morgens in total besoffenem Zustand ihre "Formel Eins Hits 85"-CD einlegen, "Blueprint" von den Rainbirds oder "Fred Vom Jupiter" rumgröhlen und versuchen, Ingolf Lück nachzumachen. Punk und die Rammstein stammen leider auch aus unseren Landen, das muss man aktzeptieren, und gehören deshalb wohl auch hier drauf. Musikalisch qualitativ sind Fünf Sterne Deluxe oder die Beginner natürlich drei Stufen höher einzuordnen. So weit läuft die Sache noch.
Aber funktioniert eine Platte, auf der Guano Apes unmittelbar nach den Fehlfarben losnuschelt? Für meinen Hörgeschmack ist das kein homogenes Ergebnis, das sich am Stück hören lässt. Höhepunkt der Geschmacksverwirrung ist aber, wenn zwischen Udo Lindenberg und Tocotronic plötzlich Klaus Meine mit den Element Of Crime stadionrockt. Himmel und Hölle, so viel musikalisches Verständnis muss doch in der Musikexpress-Redaktion vorhanden sein, dass man Y-Gitarren nicht zwischen die abgewetzten Stratocaster der Slacker bzw. Melancho-Rocker stellen kann.
Die zwei besten Tracks kommen von alteingesessenen Bands, die sich beide mit fantastischen Live-Versionen vorstellen. Zum einen die Berliner Anarcho-Rocker Ton, Steine Scherben, die mit einer von Alkohol und Drogen zerfressenen Rio Reiser-Stimme ihre Hymne "Keine Macht Für Niemand" runterklopfen, zum anderen die Einstürzenden Neubauten, bei deren Track wieder die Stimme für seine Qualität ausschlaggebend ist: Blixa Bargelds Gesang grenzt schon nahe an den Wahnsinn und kreischt sich in meine Gänsehaut.
"Made In Germany" ist eher eine durchwachsene Geschichts-Stunde der deutschen Pop-Musik. Wegen der vielen Total-Ausfälle der unglücklich gestalteten Tracklist ist man meist mit Weiterskippen beschäftigt. Ein kompletter Hördurchgang scheint unmöglich. Es ist zwar deutsche Musikgeschichte, aber auch Geschichte macht Karat zu keiner guten Band.
Trotzdem ist es praktisch, einen Song wie "Blaue Augen" von Scorpions griffbereit im Plattenschrank zu haben. Eben für oben angesprochene Anlässe.
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