laut.de-Kritik
So rund wie ein Skateboardkugellager.
Review von Mathias MöllerGleich zu Anfang bekommt man einen Riesenschrecken. Motocrosser Freddy Peters knallt aus unerfindlichen Gründen gegen die Rückwand einer Rampe und bleibt regungslos liegen. Am Ende ist alles okay, Peters ist ein wenig angepisst, aber realisiert nach und nach, dass sein Stunt doch ziemlich Punkrock war. Und genauso sieht es scheinbar aus, wenn die Deconstruction Tour auf die Straße rollt. Alle machen das, was sie am Besten können und ein wenig beknackten Scheiß drum herum - fertig ist der Spaß.
"Appetite For Deconstruction" dokumentiert die Tourjahre 2004 und 2005 und zeigt unter anderem Performances von Pennywise ("Something To Change", "The World", "Bro Hymn"), den Berliner Beatbuletten ("I Don't Care As Long As You Sing", "Panic"), den Skapunks Capdown und Mad Caddies ("Drinking For 11"), From Autumn To Ashes, den mittlerweile in Auflösung befindlichen Boysetsfire ("Requiem"), den Slackers, den Politpunks Anti-Flag ("Turncoat"), Strike Anywhere ("To The World") und The Movement ("Waiting").
Die Skatepunkoldies Lagwagon ("Falling Apart", "Violins") dürfen natürlich nicht fehlen, ebenso wenig wie der Nachwuchs in Form von MxPx, Pulley und Yellowcard ("Breathing"). Ein farbiges Performance-Highlight setzen die Berliner Punk'n'Roller Mad Sin ("Sell Your Soul").
Die Rockumentary, in Anlehnung an Guns'n'Roses legendäres Album benannt, zeigt nicht nur Liveaufnahmen, sondern auch Sequenzen aus den Skate-, BMX- und Motocross-Darbietungen, die die DT zu bieten hat. Und das nicht zu knapp. Das Interessante und Innovative bleibt ja die Mischung. Die verschiedenen Bands und die unterschiedlichen Events verkörpern alle diejenige Philosophie, die man unter dem Stichwort Punk subsumieren kann. Und so bietet die DT für jeden etwas, der auch nur ansatzweise was mit Onkel Punkrock zu tun hat.
Zwischen den Liveaufzeichnungen werden neben den üblichen Clownereien und Slapstickeinlagen zentrale Persönlichkeiten der DT vorgestellt, beispielsweise der selbsterklärte "Zirkusdirektor" und Deconstrution-Erfinder David Pollack oder Soundmeister Adam Schwarz. Pollack entlarvt sich dabei als Punkrockmonster, der je nach Lust und Laune gerne mal alles zerschlägt, was in greifbarer Nähe ist.
Die Liveperformances an sich zeigen nichts Besonderes. Für sein Geld bekommt man auf jeden Falle eine ganze Menge bekannte und eine Handvoll unbekanntere Bands zu sehen. Allerdings sollte man sich für BMX-, Skate- oder Motocrosssport begeistern, denn die Strecken zwischen den Livenummern sind mitunter recht lang geraten. Mit gut über zweieinhalb Stunden Spielzeit bietet "Appetite For Deconstruction" somit zeitlich und inhaltlich mehr als die meisten Musik-DVDs, leidet aber mitunter an den Längen der Sportsequenzen.
Natürlich werden in Interviews mit Bands wie Anti-Flag, Strike Anywhere oder den Slackers auch politische Themen und Befindlichkeiten angesprochen, was erstaunlicherweise aber nicht in ein bloßes Bush-Bashing ausartet, sondern mitunter einigermaßen reflektierte Äußerungen zu Tage bringt. Eine Bin-Laden-Maske zieht sich als Running Gag durch den ganzen Film. Das lustigste Gimmick aber führt Soundmann Schwarz mit sich: einen aufziehbaren Hitler, der die Linke zum Deutschen Gruß erhebt und sich mit der Rechten einen runter holt.
Für den Unbeteiligten lustig ist auch die Szene, in der Crosser Colin Morrison an einem deutschen Polizeiauto vorbeifährt und den uniformierten Insassen den bösen Finger zeigt. Die Vertreter der Staatsmacht zeigen sich wenig begeistert und benehmen sich in der Folge wie die letzten Arschlöcher. So muss sich Morrison fragen lassen, ob er nicht ein verständliches Englisch sprechen könne. Willkommen in Deutschland!
Was nervt, ist, wenn die Aufnahmen von den Performances durch Interviewschnipsel unterbrochen werden. Geht das nicht auch nacheinander? Ansonsten erlaubt die Menüsteuerung eine Trennung von Performances und Sport: So werden alle erlöst, denen nach 30 Sekunden Halfpipe-Gehopse speiübel wird. Alles in allem eine so runde Sache wie ein Skateboardkugellager. Nur eines macht wahrscheinlich mehr Spaß: dabei sein.
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