laut.de-Kritik

Private Live-Konzerte aus abrissbereitem Hause.

Review von

Die feine "Burn To Shine"-Serie des Ex-Fugazi-Drummers Brendan Canty und des Filmemachers Christoph Green hat fünf einfache Regeln, die es zu beachten gilt: 1. Bring Musiker aus einer Stadt in dieser zusammen, auf dass sie in einem zum Abriss bereiten Haus aufspielen. 2. Jeder spielt einen Song zweimal. 3. Keine Nachbearbeitung des Tons. 4. Die Zerstörung des Hauses wird ebenfalls auf Film festgehalten. 5. Die DVD spiegelt die Performances in chronologischer Reihenfolge wieder.

So weit, so gut. Zu erwähnen wäre noch, dass es bereits "Burn To Shine"-Folgen aus Washington D.C., Chicago und Portland gibt. Als Kurator wirkt jeweils ein Mitglied der örtlichen Szene, in Seattle ist es Ben Gibbard, Sänger von Death Cab For Cutie. Gibbard beweist bei seiner Auswahl, wie seine Vorgänger auch, ein geschmackssicheres Händchen. Ohne Genre-Scheuklappen stellt er ein Ensemble von Musikern zusammen, die "Burn To Shine Seattle" zu einer kurzweiligen Angelegenheit machen.

Den Anfang machen nach kurzer atmosphärischer Einleitung mit Bildern aus der Stadt (die Autofähre kennt man spätestens aus "Grey's Anatomy") Spook The Horse mit ihrem flotten "Another New Year". Der Song lebt vor allem vom Piano und dem zweistimmigen Gesang Grant Burtons und Brian Pakes. Hier wird dem "Burn To Shine"-Neuling auch gleich vor Augen geführt, was diese Serie so besonders macht: Das besondere Setting der Performances - es gibt weder Bühne noch Publikum oder Applaus - erlaubt eine sehr intime, direkte Herangehensweise an den Auftritt.

Regisseur Green und seine Crew gehen entsprechend nah an die Musiker heran und fangen alle Auftritte in tollen, ungewöhnlichen Bildern ein. Nicht immer hat eine junge Band die Gelegenheit, sich so zu präsentieren. Oder eine alte: Harvey Danger besteht bereits seit 1992, einen gewissen internationalen Bekanntheitsgrad erlangte die Gruppe erst im letzten Jahr, als die Crew einer IT-Firma ein Video zu ihrem '98er-Minihit "Flagpole Sitta" aufnahm, dass schnell im Netz die Runde machte.

Mit dem Titeltrack ihres letzten Albums "Little Round Mirrors" und einer sympathischen "Paradise City"-Einlage machen die Indie-Popper auch im Haus von Walter Wendt eine gute Figur. Doch nicht nur Bands treten auf, Jesy Fortino aka Tiny Vipers steht als Singer/Songwriterin mit markanter Stimme allein im Zimmer, genau so wie Pearl-Jam-Fronter Eddie Vedder, der sich selbst auf einer Kindergitarre begleitet.

Ben Gibbards Beitrag "Broken Yolk In Western Sky" wirkt sehr routiniert, Dave Bazans "Cold Beer And Cigarettes" geht dagegen schon eher unter die Haut. Ein absolutes Highlight stellt die Performance des Hip Hop-Duos Blue Scholars dar, die mit ihrem Consciousness-Rap äußerst entspannt die Phalanx der Gitarrenbands aufbrechen.

Der zweite Höhepunkt ist "Crybaby Blowout", der derbe Opener vom großartigen letztjährigen "Down Below It's Chaos" der Stoner-Psychrocker Kinski. Treibend und heavy wühlt sich das Quartett durch das ehemalige Wohnhaus, als gelte es, die Bude jetzt schon zu zerlegen. Apropos heavy: Minus The Bears "Arctic Knights" gefällt dank seiner Vertracktheit, ist aber sicher kein leichter Genuss. Großartig: Das Fußpedalarsenal von Gitarrist Dave Knudson.

Eindringlich performen auch Triumph Of Lethargy Skinned Alive To Death, ein neueres Projekt des Ex-Murder City Devils-Sängers Spencer Moody. Ihr folkiger Noiserock gehört ebenfalls zu den eher schwer verdaulichen, aber unbedingt hörenswerten Perlen. Nach der abschließenden Jesse Sykes dann der Schock für den pyromanisch geneigten Zuschauer: Das Haus wird nicht abgefackelt wie in Washington oder Portland. Es wird einfach per Tieflader an eine andere Stelle versetzt.

Insofern müsste die DVD eher "Move To Shine" heißen, doch das ist nicht wichtig. Denn was bleibt, ist eine weitere Ausgabe einer musikalisch absolut hochwertigen Serie, die intensive Vorträge im intimen Rahmen auf großartige, fesselnde Weise festhält. Zum Glück sind Louisville und Atlanta (letzteres mit den Dampframmen-Haudegen Mastodon) schon in der Post-Production.

Trackliste

  1. 1. Spook The Horse - Another New Year
  2. 2. Harvey Danger - Little Round Mirrors
  3. 3. Tiny Vipers - On This Side
  4. 4. Blue Scholars - Morning Of America
  5. 5. Dave Bazan - Cold Beer And Cigarettes
  6. 6. Benjamin Gibbard - Broken Yolk In Western Sky
  7. 7. Eddie Vedder - Can't Keep
  8. 8. Minus The Bear - Arctic Knights
  9. 9. The Cave Singers - Called
  10. 10. The Long Winters - Departure
  11. 11. Kinski - Crybaby Blowout
  12. 12. The Can't See - Barfight
  13. 13. Triumph Of Lethargy Skinned Alive To Death - Big Bed
  14. 14. Jesse Sykes And The Sweet Hereafter - The Air Is Thin

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