laut.de-Kritik
Ein so intensives wie mitreißendes Bluesrock-Manifest.
Review von Philipp KauseDer 69-jährige Walter Trout fängt ganz sachte an. Im Opener und Titelsong "Ordinary Madness" singt er nicht wirklich, viel mehr wispert er uns vertraulich etwas ins Ohr über die alltägliche, gewöhnliche Abnormalität und Verrücktheit des Lebens. Nach den ersten Zeilen beginnt bald die E-Gitarre zu kreischen und will gar nicht mehr aufhören, psychedelisch-proggig wirkt die Einlage, als sie in die Verlängerung einer "normalen" Solo-Länge zieht. Dann fängt er doch noch an, nach fast fünf Minuten: Er kehrt sein Inneres nach außen, "I believe it's right here inside of me." Die Verrücktheit steckt in ihm, meint er, doch vor allem ist es seine Erfahrung überlebt zu haben. Da sah es schon mal knapp aus, bis Crowdfunding ihm eine neue Leber finanzierte, die ihm 2014 erfolgreich transplantiert wurde.
Seither wirken seine zuvor schon ekstatischen Alben noch schmerztriefender, aber auch euphorischer. Dankbarkeit, Todesangst, Leiden, Bangen, Freude übers Überleben - hier mischen sich die Emotionen, doch nach dem bereits überdurchschnittlichen Album "Battle Scars" 2015 direkt nach der Operation steigerte Trout seine Leistung auf den folgenden Longplayern weiter.
"Ordinary Madness" schließt jetzt den Bogen ab, ein gigantisches Bluesrock-Manifest. Ungestüme Ausbrüche und introspektivere Nummern wechseln geschickt miteinander, neun Spitzensongs, zwei weitere sehr gute, kein Füllsel.
Trouts Gesang setzt phasenweise auf zurückhaltendes "weniger ist mehr" und investiert in die Feinheiten des Ausdrucks, statt in den Wettbewerb ums größte Drama, den etliche jüngeren Bluesrocker*innen entfacht haben.
"My Foolish Pride" schlägt eine Brücke zu jener Sorte Southern Rock-Country, von der zeitgleich ein neues Album der Allman Betts Band kündet. In diesem Stück haben die Keyboards mehr zu melden als auf den anderen. Alle weiteren Tracks zehren von vertrauten Blues- (und Rock'n'Roll)-Akkord- und Rhythmus-Mustern. In der Umsetzung, seinen Arrangements und der Dramaturgie folgt der Altmeister aus New Jersey nicht der heute verbreiteten Bonamassa-"Schule".
Der Southern Rock hat es Trout eben angetan. So scheint in "Heartland" eben gerade kein "Heartland Rock" durch, sondern vor allem Tom Petty. Dazu trägt die in hohe Stimmlage transponierte Tonlage der Lead Vocals bei, Trout klingt am besten in falsettverwandten Höhen. Auch ein Akkordeon macht sich gut in der fetzigen Nummer. Von zart bis hart und wieder zurück zu medium durchläuft sie diverse Spielarten, heavy Riffs und Passagen zum Luftholen halten diesen und die meisten Songs sehr dynamisch. Ein bisschen Stehblues-Atmosphäre passt in "All Out Of Tears" abrundend dazu, lässt auch wieder Raum für ein langes, zeterndes Gitarrensolo.
Schwächstes Stück, das aber noch auf überdurchschnittlichem Genre-Level, ist "Final Curtain Call", eine Bestandsaufnahme des Alterns: Überzeugend, aber nicht Neuartiges, sondern eben viel, sehr viel Mundharmonika-Gequietsche, um den gierigen Sensenmann in aller Dramatik zu vertonen. Dazu sehr dicke Gitarrenschichten, die Hammond-Orgel darf sich breit machen, und die Lyrics erzählen von der Endlichkeit. Wie gesagt, überdurchschnittlich, weil Trout sowas kann, aber überhaupt nicht innovativ. Der Platte als solcher tut dieser mittig platzierte Track keinerlei Abbruch.
"The Sun Is Going Down" kombiniert ein Acapella-Intro mit dräuendem Metal-Feeling, "Make It Right" reißt als Kickdrum-basierter Stomper mit, modernes Jukebox-Futter, auch wieder mit sehr viel Zeit fürs Solo im C-Teil. Trout geht dann in die Vollen, solange Klimaneutralität (noch) nicht heißt, der Elektrischen den Saft zu rationieren. "You know the fire's still burning hot", findet er in den Text zurück, und da meint er vielleicht seine dänische Ehefrau Marie, mit der er bald 30 Jahre verheiratet ist und die das Album in Robby Kriegers Studios produziert hat.
Der Spirit Kriegers (dessen aktuelle Instrumentalplatte übrigens ebenfalls vorzüglich ist) mag manche psychedelische Kurve inspiriert haben: "Up Above My Sky" wirkt wie die Fusion der beiden gegensätzlichen Seiten von The Doors, dem "Cocktail-Jazz", den ihnen ihr Produzent vorwarf, in Trouts Intro aufscheinend, andererseits der erdigen, zutiefst bluesigen, explosiven Seite, wie sie in manchen Riffs z.B. in "Love Me Two Times" aufblitzt, und so entwickelt sich Trouts vorletzter Song ins Wilde. "OK Boomer" durchschneidet dann als Classic-Rock-für-den-Highway-Stuff die Luft: ein kehlig gekläffter Rausschmeißer, der nun so gar nichts mehr mit der Zartheit der Gesänge am Anfang des Albums gemein hat und in dem der Amerikaner sich als Stones-Fan outet. So ist mit "Ordinary Madness" ein vielseitiges, zutiefst nachfühlbares und mitreißendes Album entstanden, das seinesgleichen sucht.
3 Kommentare mit 11 Antworten
Richtig gute Musik mit sehr vielen guten Gitarrenrifs und einer berührenden Stimme von Walter Trout.
Exzellente Bluesrock-Scheibe. Und endlich mal ohne diese Boogie Woogie Blues-Nummern.
Spitzen Album, auch wenn gewisse User auf Laut gerne die These vertreten das Weiße und Blues nicht geht bzw. nicht sein darf. Walter Trout spielt hier auf seine alten Tage wunderbar ungekünstelten und frischen Bluesrock, genauso wie er sein muss. Klare 4/5
Gegendarstellung:
Der Typ spielt seit ungefähr 20 Jahren denselben Song und gniedelt bei jedem Solo ein und dieselbe Skala runter.
Aber selbst ich muss sagen, dass diese Platte über seinem Durchschnitt liegt.
Dass er weiß ist, ist mir dabei herzlich egal. Wer vertritt denn diese These?
Nicht ohne Grund schrieb ich ausdrücklich "spielt hier" und beziehe mich damit natürlich speziell auf dieses Album.
Zu deiner Frage: Gemeinte Personen wissen das sie gemeint sind.
Ich halte das eher für Einbildung. Wie sollte man diesen Schwachsinn auch begründen? Was ist mit allen weißen Jazzmusikern? Was ist mit Fusion, den haben Jazwinul und Miles Davis erfunden. Dürfen den dann nur Milchkaffees spielen?
Ich nenn keinen Namen, aber hier ein kleines Zitat:
"Ist jetzt nicht so unanfechtbar objektiv wie meine Meinungen sonst sind, aber ich finde es öde, wie Milchbrötchencountry sich noch immer eifrig an Gospel, Blues und Soul bedient, um sowas wie Tiefe vorzugaukeln."
Gilt aber nicht nur für Schwarz und Weiß, Blues und Rock. Wenn es nach dem User, und wohl noch manch anderen geht, dann können/dürfen Asiaten auch keine "Westliche Musik" machen.
Was, wie du schon sehr treffend schreibst, ebenfalls durch zig Beispiele im Jazz ad absurdum geführt wird.
Von Klassik sprechen wir hier mal gar nicht.
Scheint ne typische Doc Souli Aussage zu sein.
So ein Schmarrn. Sie dürfen und sollen es machen. Ich möchte nur die Möglichkeit lassen, daß sie nicht alle asiatischen Musiker durch ihr "Asiatisch-Sein" oder was auch immer man ihnen unterstellt, automatisch Meister des Fachs sind.
Wenn sie gut sind, feier ich es ab, wenn sie scheitern, mache ich mich darüber lustig. Aber bin vielleicht nicht philoasiatisch genug, um einer riesigen, inhomogenen Bevölkerungsgruppe etwas Fantastisches zu unterstellen.
Trout macht seine Sache gut. Falls er mit seinem "weißen" Blues auf eine blöde, übergriffige Weise scheiterte, dann wäre er ein blöder, übergriffiger Fall von Cultural Appropriation. Das macht er aber nicht. Alles fein.
Also kurz zusammengefasst, Weiße dürfen nur dann Blues spielen, wenn DIR das Ergebnis gefällt und Asiaten dürfen nur dann "westliche Musik" machen, wenn DIR das Ergebnis gefällt.
Ja, so kann man sich auch ein Weltbild bauen.
Vielleicht einfach auf "gefällt dir" und "gefällt dir nicht" beschränken und die Herkunft der Musiker außen vor lassen, wie wäre es damit?
Ragism ist so ein Hurensohn.
Infame Unterstellungen. Infame Unterstellungen überall!
War doch wohl auch ohne weitere Zaunpfähle erkennbar, dass sich Theo hier eindeutig auf Ragi und dessen übers letzte Jahr hinweg erschaffenes Kaiserreich vorm Salzberg bezog.
Selbst meine Wenigkeit unterschätzt seine Hurensohnigkeit Ragism regelmäßig.
Ich bitte um Absolution!
Gruß
Schwingwise