laut.de-Kritik

Unfassbares und Dunkles bricht in die scheinbar heile Welt ein ...

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So lange die Wartezeit, so groß der Erfolg: Nachdem es "Yankee Hotel Foxtrot" fast ein Jahr lang nur auf Wilcos Homepage zum Downloaden gab, hat das Album gleich nach der Veröffentlichung eine fulminante Platzierung in den Charts hingelegt. Ein kleines Wunder für eine so eigenwillige Band, wenn auch verschiedene Musikmagazine die Aufnahme im Vorfeld in höchsten Tönen gelobt hatten und das (neue) Label ihr sogar einen "prophetischen Charakter" zuweist.

Sicher ist, dass "Yankee Hotel Foxtrot" aufhorchen lässt und nicht unbemerkt im CD-Spieler rotiert. Der Grund dafür ist die Spannung, die durch die meist lieblichen Melodien und Arrangements einerseits und immer wieder auflodernde Klanggewitter andererseits entsteht. Wie in einem David Lynch-Film bricht Unfassbares und Dunkles in eine scheinbar heile Welt ein. Das Ergebnis ist ein schwermütiges Gefühl der Leere und das Bedürfnis, mal wieder Beach Boys zu hören.

Schon die ersten Zeilen des Openers kündigen mit "I am an American aquarium drinker" an, dass Sonderbares am Start ist. Dem Grundgerüst 'akustische Gitarre/Bass/Schlagzeug/Keyboards' fügen sich immer wieder nicht immer identifizierbare Geräusche hinzu. Aus dem Chaos entwickelt sich Wohlgeformtes, das anschließend wieder zum ursprünglichen Zustand zurück kehrt. Frontmann Tweedy hat ein offensichtliches Gespür für schöne, schräge Melodien, die durch den Kontrast besonders zur Geltung kommen. "Kamera" ist Folk-Pop erster Güte, "Radio Cure" erinnert an Radiohead, die obsessive Wiederholung des Mottos "War On War" am Beginn des gleichnamigen Liedes taugt als Friedenshymne, "Jesus, Etc." könnte von den besten Eagles stammen. Herzstück des Albums ist "Poor Places", in dem eine Vielzahl von Stimmungen erzeugt werden: erst Melancholie, dann vage Hoffnung, schließlich wirre Weltuntergangsstimmung, in der eine Frauenstimme "Yankee Hotel Foxtrot" verkündet. Erzeugt wird das Ganze durch Rhythmus- und Stilwechsel, die bei jedem Break für Überraschung sorgen.

In solch ein Album lässt sich viel hinein interpretieren. So wird der eine oder andere in "Ashes Of American Flags" tatsächlich eine Prophezeiung des 11. Septembers sehen, während die Klangkulissen und Texte als Kommentar der Widersprüche und Unzulänglichkeiten der heutigen Gesellschaft usw. dienen können.

Selbst wenn man diese Lebenseinstellung nicht teilt steht fest: Wilco ist ein faszinierendes Album gelungen, das zu recht von sich Reden macht.

Trackliste

  1. 1. I Am Trying To Break Your Heart
  2. 2. Kamera
  3. 3. Radio Cure
  4. 4. War On War
  5. 5. Jesus, Etc.
  6. 6. Ashes Of American Flags
  7. 7. Heavy Metal Drummer
  8. 8. I'm The Man Who Loves You
  9. 9. Pot Kettle Black
  10. 10. Poor Places
  11. 11. Reservations

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Wilco gehören wie Radiohead oder Giant Sand zu jenen beneidenswerten Bands, deren Werke schon vor ihrer Veröffentlichung zu Meisterwerken erkoren werden.

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