laut.de-Kritik

Mitgröl-Zeilen für den Tanz auf dem Mond, Sensibles für den Alltag.

Review von

Das Artwork zu Wolle Petrys "Stark Wie Wir" wendet sich an alle, die's maximal plakativ mögen. Das große "Wir"-Gefühl sprach zuletzt die Sparkasse mit ihrer 'Wir-zusammen'-Corona-Werbung so vereinfacht an. Bei Petry geht's jetzt ums starke Band in einer Partnerschaft und deren 'Teamleistung'. Seine Ehepartnerin wollte offenbar nicht vor die Kamera: Der zugehörige Video-Clip von "Gib Mein Herz Zurück" erinnert beim entstandenen Kompromiss, der junge Zielgruppen ansprechen soll, eher an eine Frischkäse- oder Soßenwerbung.

Als man zusammen gezogen ist, in "unsre ersten vier Wände" - gemeint sind wohl die ersten eigenen, hatte man dort "eine geile Zeit". Im Video malen zwei junge Menschen sich gegenseitig mit lindgrüner Wandfarbe an. Erzähler Wolfgang schwelgt in Erinnerungen. Dieses Visual wirkt unfreiwillig komisch.

Im Filmchen erfahren wir nicht mal, was seit der geilen Zeit passiert ist. Petry schmettert: "Verdammt nochmal, ich will nur dich!" Dazu wirft er auf YouTube den Kopf ruckartig nach vorne, wie ein Parkplatzwärter, der mit einer Kopfbewegung den nächsten freien Platz anweist. Achja, diese geile Zeit damals muss arg romantisch gewesen sein.

Als der '80er-Synth-Rock gegen Ende der Dekade Quietsch-Sounds von Kaugummi-Konsistenz erhielt und sich für Aerobic-Kurse rüstete, machte das auch vorm German Schlager nicht Halt. Unklar bleibt, weshalb deutscher Schlager-Pop bis heute so eine unbedingte Neigung zu Synthie-Loops hat, die wie ein kaputtes Akkordeon klingen.

Die Albumqualität insgesamt liegt jedoch erheblich über dem Niveau der Singles und der bildlichen Gestaltung. Wolle formuliert zum Beispiel in "So Wie Du Bei Mir Bist" ein pianobasiertes, schwelgerisches Liebesbekenntnis mit schöner Melodie. In diesem Lied gibt es in der harmonisch geschickt eingefädelten Bridge, also dem C-Teil, ein Gedankenexperiment - was, wenn die Frau an seiner Seite nicht mehr da wäre.

Halbgare Momente wie in "Ebbe Und Flut" und "So Geht Leben" holpern zwar dazwischen. Wobei auch diese Lieder völlig okay sind, wenn man aufs Genre steht. Und das meiste hat Hand und Fuß. Die großen, sympathischen Pluspunkte dieser Platte: Die meisten Songs lassen sich gut und sehr annehmbar hören, ohne dass man akuten Skip- oder Brechreiz erleidet. Derweil kaufe ich dem Künstler sein positives Denken und seine Euphorie ab. "Bist Du Bereit", Pop, auf dance'ig getrimmt, schwärmt "voller Rausch und Glücksgefühlen / wir tanzten auf dem Mond." Das klingt alles um Längen wärmer, musikalischer und authentischer als bei Reim, Maffay oder Wendler.

Schließlich verfolgt die Scheibe bei Momenten des Zerknirschtseins und Zweifelns doch eine entschieden positive Grundhaltung, allerdings keine aufgesetzte, sondern eine, die sich aus Dankbarkeit und Achtsamkeit speist. Beides hat gerade kaum Konjunktur im Entertainment. Gleichwohl ein großer Wunsch danach vermutlich bei vielen schlummert, denen deutschsprachiger Pop nicht wegen der Sprachwahl, sondern wegen der dauernden Jammer-Leier-Stimmung und der trivialen, kalkulierten Kindlichkeit oder miesen Handwerks gegen den Strich geht. Petrys CD ist das Bescheidenste und Selbstverständlichste seit geraumer Zeit in diesem ganzen Milieu.

Die Produktion mag nichts Besonderes darstellen. Teils hört sie sich eher wie Demo-Fassungen an. Aber ich bin ganz erleichtert, mal was Abgespecktes made in Germany zu vernehmen, das weder gestelzt, noch schrill oder überproduziert daher kommt.

Die Musik hüpft abwechslungsreich durch verschiedene Dimensionen. "Ich Klau Für Dich" unternimmt mit Bläsern, Pfiff, coolem rhythmischen Vibe und Verve einen Ausflug in Vaudeville-Broadway-Sound. Pralle Saxophon-Energie unterlegt einen schmissigen Text: "Ich klau für dich den Kölner Dom / fahr an den Südpol, um nach Öl zu bohren / würd sogar Kanzler werden, in Berlin / nur um deine Liebe zu spüren (...) Ich schwimm für dich durch'n Ärmelkanal/ wie Käpt'n Blaubär aufm Buckelwal." Irgendwie ist das liebenswert.

Die Melodieseligkeit hat zwar nicht ganz die Rockigkeit eines anderen rheinländischen Wolfgangs, trägt aber Spuren klassischer Eighties-AOR-Disco (Foreigner, Styx), in dem Stil, wie zum Beispiel die E-Gitarre in "Ein Kleines Stück" aufheult oder "Beinah Da" los brettert. Das Schlagzeug in "Stark" scheint Sagas "Wind Him Up" entliehen, der satte Glitzer-Sound voller Harmonie und Klimper-Pathos passt dazu.

Was diese LP außerhalb des Schlager-Umfelds schnell vertraut erscheinen lässt, sind eben genau ihre Anleihen in der Classic-Rock- und Mainstream-Pop-Sparte der Achtziger, die Appelle ans kollektive Gedächtnis. Bei "Bist Du Bereit" gerät Petry kurz in den üblichen Sog technoider Stampf-Beats, derweil reinkarniert die Nummer sowohl Elemente aus den Hooks von Alphavilles "Forever Young" und Paul Youngs "Come Back And Stay". "So Geht Leben" kümmert sich um die Bass-Linie und den Groove von Stings "Every Breath You Take".

Mitgröl-Zeilen bleiben Petrys Markenzeichen, "Zwei Herzen, die schlagen für den einen Moment / stark wie wir" ("Stark"), "schwitz wie ein Schwein und pfeif aus dem letzten Loch" ("Beinah Da"). Derbe Kost mit assoziativen, impressionistischen Sprüngen inklusive: "Ich scheiß mir in die Hose, zitter mich zum Sieg / Was treibt die Menschen an? (...) Der Sinn kommt von allein, hat Helmut immer gesagt." ("Der Letzte Macht Das Licht Aus" ) - Das ist in Ordnung so, es ist sein Stil und steht ihm.

Gerade der letzte Track schlägt dennoch einen überraschend philosophischen Kurs ein. Die Keyboard-Ballade über eine durchzechte Nacht "(Der Tag erwacht, ich schmeiß mich raus, lass einfach alles steh'n") hangelt sich durch Ratschläge fürs Leben, streift Sinnfragen, Endlichkeit ("am Ende bleibt 'ne Handvoll Staub / dazwischen nichts passiert") und Leichtigkeit des Lebens. Zwei wunderschöne Harmonieverläufe und Arrangements sowohl für die Strophen als auch den Refrain hinterlassen einen überaus strahlenden, angenehmen Eindruck.

Auch wenn sie stimmlich etwas monoton wirkt, liegt hier doch eine lyrisch, inhaltlich, kompositorisch, gestalterisch schöne Platte vor, die von Herzen kommt. Mal was Freundliches in diesen Zeiten. Sei's ihm, seiner Frau und seinen Fans gegönnt. Und ich werde das Teil am Ende des Jahres auch noch hören, obwohl mir andere Genres sonst lieber sind.

Trackliste

  1. 1. Du Gehörst Zu Mir Und Ich Gehör Zu Dir
  2. 2. Stark
  3. 3. Gib Mein Herz Zurück
  4. 4. So Geht Leben
  5. 5. Ein Kleines Stück
  6. 6. So Wie Du Bei Mir Bist
  7. 7. Bist Du Bereit
  8. 8. Ich Klau Für Dich
  9. 9. Ebbe Und Flut
  10. 10. Warum
  11. 11. Beinah Da
  12. 12. Der Letzte Macht Das Licht Aus

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