laut.de-Kritik

Wer auch immer XXX' Erbe verwaltet, muss den Mann hassen.

Review von

Seit dem Tod von XXXTentacion wurde mit seinen musikalischen Hinterlassenschaften zwischen achtlos und dreist umgegangen. "Skins" war ein halblebiges, wenig interessantes Album, das zumindest stilistisch wie eine kohärente Ergänzung seines Katalogs wirkt. Damit schien alles erzählt. Dann gab es eine Members Only-Kollabo, die nur für die Aufmersamkeit mit dem Namen des Florida-Rappers beworben wurde. "Bad Vibes Forever" ist nun das erste Mal, dass ein Release der hinterlassenen Songs von XXXTentacion nicht nur unergiebig ist, sondern zum Schämen. Mit nahezu keinem Material in den Händen ist dieser Grabraub von einem Album aus unerfindlichen Gründen auf eine Stunde gestreckt und bringt keine Minute neuen Materials hervor, die das Release wert gewesen wäre.

Man fragt sich berechtigterweise: Wenn schon "Skins" kaum einen neuen Verse zusammenkratzen konnte, wo soll dann das Material für diese 25 Tracks herkommen? Die Antwort ist: nirgends. Es gibt kein neues Material. Drei Viertel der Platte bestehen aus restaurierten Vocal-Snippets, die geloopt werden. Nach Geschmack wird das dann noch mit Features garniert und dann eben Track genannt, egal wie wertlos dreißig Sekunden Vocal-Übung auf uninspirierten Akustik-Gitarren auch sein mag.

Wenn es nicht einmal für vier Zeilen Hook zu loopen reicht, greift man hier auch gerne mal auf "Ooh, ooh, ooh" oder Eyyyys" zurück, die genauso gut Studio-Warm-Up sein könnten. Die bilden dann auf halblebigen Instrumentals die Grundlage für einen Song. Dazu gibt es Gastrapper, die auf diesem Album so viel zu suchen haben wie Rakim auf einem Lil Pump-Beat.

Zum Beispiel Lil Wayne auf dem grotesken Song-Fragment "School Shooters", auf dem sie mit den hässlichsten Vocal-Inflections westlich des Urals gegen Amokläufe rappen (???). Der Lil Wayne, der ihre einzige posthume Kollaboration bisher dazu verwendet hat, den Namen von XXXTentacion falsch auszusprechen und beschissene Wortspiele damit zu machen. Rick Ross taucht auf, auch wenn er offensichtlich nichts zu sagen hat, wie ein bezahlter Gast auf einer Trauerfeier. Und es wird nicht besser. Tory Lanez, Joyner Lucas, Stefflon Don fühlen sich alle wie Platzhalter an. Pappkamerad-Gastauftritte, um dieses Skelett eines Albums mit irgendetwas aufzufüllen.

Nicht, dass die Artists, die einen Grund haben, hier zu sein, es viel besser machen. Trippie Redd, Killstation und Joey Bada$$ liefern zwar noch respektable Gastauftritte, dafür verhunzen sowohl Tom G, Craig Xen, Jimmy Levy und Sauce Walker die Song-Snippets, auf denen sie auftreten gründlich. Es ist in dieser Hinsicht sowieso nichts als eine aufgehübschte Snippet-Compilation, die ohne Achtung darauf angeordnet ist, was gut und was schlecht im Katalog des Rappers ist.

Man kriegt hingerotzte Soundcloud-Schnipsel mit exzentrischen Bässen und teils äußerst fragwürdigen Vocal-Tönen geboten ("Voss", "School Shooters"), Emo-Trap, gegen den selbst die unfertigen Tracks auf "17" und "?" in Sachen Songwriting aussehen wie "Bohemian Rapsody" ("Ugly", "Triumph", "Before I Realize") und Songs, die überhaupt keinen Sinn ergeben.

Wollte irgendjemand Dancehall-XXXTentacion? Hier gibt es gleich zwei Nummern ("Bad Gyal", "Royalty"), garniert mit absurd schlechtem jamaikanischem Akzent und erneuter 80%iger Gast-Saturation. Es gibt einen schrägen Pop-Rap-Song mit Noah Cyrus, es gibt schräge Pop-Rock-Ansätze ("Hearteater", "It's All Fading To Black"), einen davon sogar mit Blink 182. Von dem grauenhaften Opener "Ex Bitch" und dem Nu-Metal-Quark "CHASE / Glass Shards" gar nicht erst zu sprechen.

Die paar Tracks, die man tatsächlich auch als solche bezeichnen könnten, sind dann zu wenig und zu spät. "Daemons" mit Joey Bada$$ und Kemba und "North Star" mit einem unspannenden Joyner Lucas-Verse sind die einzigen Songs, auf denen XXXTentacion überhaupt einen vollen Verse abliefert. Das liegt daran, dass beide Verses einfach aus 2014er-Soundcloud-Files gerippt wurden. Der Rest der Platte geht zur einen Hälfte mit acht Zeilen, zur anderen Hälfte mit vier Zeilen des Protagonisten aus. Vereinzelt gibt es sogar nur zwei.

Es fällt schwer, "Bad Vibes Forever" überhaupt ein Album zu nennen. Es ist ein schamloser Ausverkauf der Gebeine eines Rappers, der zwar Potential hatte, es aber nie zur Gänze ausleben konnte. Seinem Namen dieses unhörbare Machwerk unterzuschieben, ist eine Abrissbirne gegen sein sowieso schon fragiles musikalisches Erbe. Ein posthumes Album sollte an sich ja sowieso eher den Fans des Artist gefallen als der breiten Öffentlichkeit. Aber im Gegensatz zu geschmackvollen Ausführungen dessen wie Lil Peeps "Everybody's Everything" sollte man sogar XXXTentacion-Ultras eher raten, einen großen Bogen um dieses Ungetüm zu machen.

Trackliste

  1. 1. Introduction
  2. 2. Ex Bitch
  3. 3. UGLY
  4. 4. Bad Vibes Forever (feat. PnB Rock & Trippie Redd)
  5. 5. School Shooters (feat. Lil Wayne)
  6. 6. I Changed Her Life (feat. Rick Ross)
  7. 7. Triumph
  8. 8. LIMBO
  9. 9. Before I Realized
  10. 10. Ecstasy (feat. Noah Cyrus)
  11. 11. Kill My Vibe (feat. Tom G)
  12. 12. Hot Gyal (feat. Tory Lanez & Mavado)
  13. 13. THE ONLY TIME I FEEL ALIVE (feat. Craig Xen)
  14. 14. The Interlude That Never Ends
  15. 15. Daemons (feat. Joey Bada$$ & Kemba)
  16. 16. ATTENTION!
  17. 17. Eat It Up
  18. 18. Voss (feat. Sauce Walka & Carnage)
  19. 19. Royalty (feat. Ky-Mani Marley, Stefflon Don & Vybz Kartel)
  20. 20. Wanna Grow Old (I Won't Let Go) (feat. Jimmy Levy)
  21. 21. HEARTEATER
  22. 22. NorthStar (Remix) (feat. Joyner Lucas)
  23. 23. CHASE / Glass Shards (feat. ikabodVEINS)
  24. 24. Numb The Pain
  25. 25. IT'S ALL FADING TO BLACK (feat. Blink182)

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