laut.de-Kritik
Hat Moby eine Tom Waits-CD gegessen?
Review von Alexander CordasWird Yann Tiersen jemals wieder das Stigma los, das er als Komponist zum "Amelie"-Soundtrack seitdem wie einen Furunkel am Hintern mit sich herum schleppen muss? Und warum klingt Yann Tiersen im Opener wie Moby, der eine Tom Waits-CD gegessen hat?
Fragen über Fragen. Zumindest tönt "Amy" so rockig wie noch nie, begeistert aber nicht wirklich. Es scheint, als müsse Tiersen erst mal abseitige Pfade abchecken, bevor er wieder in seinen eigenen Orbit einschwenkt, um im Zeichen von Melancholie und Monotonie in fremde imaginäre Länder zu entführen.
Das funktioniert immer dann am Besten, wenn er seine Melodien in fast schon erschreckend monotoner Weise immer und immer wieder von Neuem anstimmt. "Chapter 19" legt hiervon Zeugnis ab. Die Stimmung des Albums pendelt zwischen verträumtem Hoch und dunklem Tief. Das dürfte wohl Tiersens privat durchlebten Schicksalsschlägen geschuldet sein, denn der Bretone verlor während der Aufnahmen einen Freund und seine Mutter.
Trotz dieser potenziell deprimierenden Gefühlslage gelingt ihm immer wieder der Schwenk in Richtung positiver Grundstimmung, wo in der Ferne das Licht am Ende des Tunnels schimmert. Aufgrund des Einsatzes von alten Synthies, Distort-Effekten und noisige Einlagen driftet das Album aber vom reinen Schönklang hinweg. So schubst Tiersen die Amelie-Diddl-Mäuse aus dem Regal und massakriert sie hinterrücks.
Eine kleine Portion Wahnsinn schwenkt auf der "Dust Lane" auch mit. Angesichts des Covers, wo ein Alpha Romeo mit offener Fahrertür scheinbar herrenlos im Forst herum gammelt, darf sich der Betrachter die Frage stellen, wo denn der Fahrzeuglenker abgeblieben ist. Steht er nur am Waldrand mit offener Hose, um zu strullern?
Verwöhnt er seine Holde - wie in "Fuck Me" - oder kullert sein von einem verrückten Massenmörder abgeschlagener Kopf bereits die Böschung hinunter? Das Ende bleibt offen. Das passt Tiersens Musik.
1 Kommentar
Tolle Platte und schöne, knappe Review, Herr Cordas.