laut.de-Kritik

Ein Denkmal für die Wahlheimat.

Review von

Vor der bretonischen Küste in Nordwestfrankreich liegt die karge Insel Ouessant, keine 16 Quadratkilometer groß. Außer Wiesen und Granitgestein gibt es dort nicht viel. Wikipedia verzeichnet "weder bedeutende Badestrände noch herausragende touristische Sehenswürdigkeiten". Einwohnerzahl: 877. Aber einer dieser Einwohner ist Musikgenie, Multi-Instrumentalist und Komponist Yann Tiersen. Mit seinem neuen Album "EUSA" setzt er seiner Wahlheimat jetzt ein Denkmal.

Darauf finden sich zehn Solo-Klavierstücke, die der Franzose ursprünglich nur als Partitur veröffentlichen wollte. Bei Improvisationen in der Natur kam ihm die Idee für ein Konzeptalbum. So nahm er die Stücke doch auf, in den berühmten Abbey Road Studios in London. Es handelt sich um seine erste Platte, die er nur auf einem Klavier einspielte.

Wer nur den "Amelie"-Soundtrack kennt: Tiersen ist nicht der Piano-Narr, für den ihn viele halten. Der Komponist spielt genauso virtuos Geige, Akkordeon oder Mandoline, als Jugendlicher hat er in Punkbands gespielt. Auf seinen Soloalben experimentierte er auch mal mit Elektro und Postrock. "Das Klavier war niemals das Instrument, auf dem mein Fokus lag, auch wenn es gerade Klavierstücke waren, mit denen ich bekannt geworden bin", sagt er selbst.

Das Besondere an seinem aktuellen Album: Jedes der Lieder bezieht sich auf einen bestimmten Ort auf Eusa, wie sich Oeussant auf Bretonisch schreibt (so erklärt sich der Albumtitel). Zum Konzept gehören integrierte Außenaufnahmen, Naturgeräusche aus den von den Liedern beschriebenen Orten. So rufen im Hintergrund Waldkäuze, es rauscht das Meer und heult der Wind. Wer jetzt den großen Kitsch befürchtet, der sei beruhigt: Tiersen übertreibt es nicht mit den Effekten, er setzt sie dezent und passend ein.

Die Stücke selbst klingen wie ideale Filmmusik: Leicht aber nicht einfach, eingängig aber interessant, melancholisch aber hoffnungsvoll. Manche bieten den perfekten Soundtrack, um bei einer langen Zugfahrt aus dem Fenster zu gucken und zu sinnieren. Andere wirken wie prädestiniert als Hintergrundmusik für eines dieser YouTube-Videos, in dem jemand seine Kinderfotos aneinanderreiht und der Betrachter den Alterungsprozess bezeugt.

Die Stücke klingen mal verträumt und sehnsüchtig, mal bittersüß, mal freudig verspielt. Zu jedem Lied kann man sich prima eine Filmszene vorstellen, eine Trennung im Streit in einem Pariser Café oder eine Naturdoku, in der zwei Vogelbabys zum ersten Mal die Augen öffnen.

Als Interlude fungiert das achtteilige Stück "Hent", in dem Tiersen ohne Schema und sehr langsam über verschiedene Akkorde improvisiert. Diese geraten ein wenig beliebig. Auch für das Intro und Outro gibt es Abzüge: Eine zarte Frauenstimme spricht auf Bretonisch über eine einfache Tonfolge, das klingt zwar künstlerisch, aber sehr gekünstelt. Eine Parodie eines Arthouse-Filmes würde so beginnen.

"EUSA" bietet letztendlich keine großen Überraschungen, hält aber allemal, was es verspricht. Wer diesem "über Mainstream-Filme bekannt gewordenen Pop-Komponisten" den Erfolg nicht gönnt, muss sich das Album ja nicht anhören. Alle anderen erwartet ein stimmungsvolles Stück Instrumentalmusik.

Trackliste

  1. 1. Hent I
  2. 2. Pern
  3. 3. Hent II
  4. 4. Porz Goret
  5. 5. Lok Gweltz
  6. 6. Hent III
  7. 7. Penn Ar Roc'h
  8. 8. Hent IV
  9. 9. Kereon
  10. 10. Hent V
  11. 11. Yuzin
  12. 12. Roc'h Ar Vugale
  13. 13. Hent VI
  14. 14. Penn Ar Lann
  15. 15. Hent VII
  16. 16. Enez Nein
  17. 17. Kadoran
  18. 18. Hent VIII

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