laut.de-Kritik
Ein Trostpflaster für Festivalfans.
Review von Philipp KauseDie europäische Reggae-Kultur manifestiert sich normalerweise in Form von Open-Airs. 2020 also nicht. Zu Zeiten von Ziggys Vater Bob befand sich diese Szene noch im Aufbau, als im Sommer 1979 das erste Event im kleinen Maßstab in einem belgischen Dorf öffnete. Ziggy zählt damals zehn Lenze und atmet bald selbst die Aura dieser Ereignisse ein: Im September '79 erlebt er sein erstes Freiluft-Stadionkonzert in Kingston - wohl gemerkt, noch vor dem Stimmbruch, aber als teilnehmender Musiker.
Dass er mittlerweile alle paar Jahre Livealben herausbringt, ist gerechtfertigt: Ziggy hat ein Feeling für die Konzertkultur entwickelt wie kaum ein anderer in diesem Genre. Seine "Road To Rebellion (Vol. 3)"-EP vervollständigt die Trilogie, die im Juli 2019 mit Folge 1 auf hohem Niveau begann. Teil drei dient als Trostpflaster für den Corona-Sommer, die wohltemperierte und gut ausgeklügelte Selektion wartet aber auch mit denkbar erstklassigen Aufnahmen aus Chile (2019) und Kalifornien (2013 und '17) auf.
Die fiebrig und doch behutsam gespielten Drums im Mittelteil von "World Revolution" sowie die zurückhaltenden Melodiepatterns aus den Keyboards überlassen die Bühne ganz den Vocals und hypnotisch monotonem Loop-Fiepen. Das Rhythmus-getrieben Stück beeindruckt durch die leidenschaftlich glühenden, repetitiven Passagen der Background-Sängerinnen. Erst nach über vier Minuten setzt die E-Gitarre zum Finale an.
Ausgeprägteren Akzent auf die Melodie legt "True To Myself". Die einfache und eingängige Tonfolge erinnert an ein Kinderlied, ermöglicht Ziggy gleichwohl die direkte Einbindung des Publikums in die klare Botschaft - die Hymne ist perfekt. Der Rasta-Sänger moduliert dabei facettenreich und engagiert. Der Funke springt zweifelsohne über.
Ziggy schafft es, sein Publikum 90 Minuten lang zu fesseln. Er gilt nebenbei als der rockigste der Marley-Sprösslinge. Ein programmatischer Ohrwurm wie "Reggae In My Head" zeugt davon: Am Ende des Tracks stimmen Fans und Sänger in einen Wechselgesang ein.
Das fluffige "Beach In Hawaii" rundet die kleine Selektion mit einem erlesenen Twist aus filigranen Percussions und hypnotischer Imitation einer Surfgitarre ab. Im Solo hört sie sich dann gar so sägend an, als befänden wir uns in einem Stück von Slash.
Was die Verteilung des Mitschnitts im Raum angeht, befinden sich die Schlagzeugstöcke und die Keyboardtasten links, rechts jubeln die Leute und das Mikrofon des Sängers scheint dazwischen zu stehen. Darüber schweben in luftiger Eleganz die Background-Vocals. Die Aufnahmen wirken gut ausgesteuert und fehlerfrei, die Cue-Punkte sitzen perfekt, man ist sofort in jedem Song drin.
Inhaltlich spannt Ziggy den Bogen von sozialkritischen Appellen bis hin zum lyrisch flachen Liebessong mit Insel-Feeling - musikalisch reißt das dynamische Spiel aber immer mit. Nachfolgende Bands dieses als 'Nu Roots' bezeichneten Substils - etwa Raging Fyah - schaffen es meist nie, so wirkungsvoll für Abwechslung zu sorgen, indem mal die Drums, mal die Keyboards, die Gitarre, der Bass und dann wieder die Vocals in den Vordergrund ziehen. Einfaches Rezept, große Wirkung. "Road To Rebellion (Vol. 3)" geht als Höhepunkt der dreiteiligen Veröffentlichung durch, wobei man auch dem bissig vorgetragenen Politsong "See Dem Fake Leaders" auf Vol. 2 noch ein Ohr schenken sollte.
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