laut.de-Kritik

Die Zukunft des Hyperpop ist jung und queer

Review von

Wenn es ein Genre gibt, dass sich in den vergangenen Jahren als klarer Safe Space für die künstlerische Entfaltung der queeren Community herauskristallisierte, so ist es der von den Wegbereitern des PC Music-Camps populär gemachte Hyperpop, und all die Subgenres, die er mit sich brachte. Was noch als relativ simple Fusion klassischer Pop-Elemente und experimenteller Produktion begann, differenzierte sich zunehmend in dutzende, immer abstrakter werdende Unterkategorien. Vom zugänglichen Bubblegum-Bass auf der einen Seite bis hin zu den hirnspaltenden Projekten der jüngsten HexD-Bewegung auf der anderen.

Ein Großteil der Queerness dieser Musik spiegelt sich meist in hemmungslosem Enthusiasmus, kinky Lyrics und einem übergeordneten Eskapismus in eine Welt ohne die Sorgen nieder, die man, wenn man dieses Label trägt, ohnehin tagtäglich mit sich rumschleppt. Trotzdem war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die nachrückende Generation, die schon seit geraumer Zeit die Wachablösung für PC Music und deren fragmentierte Überreste darstellt, auch persönlicheren Themen annimmt.

"Teen Week" ist dltzks Debüt-Album. dltzk ist 17, non-binär und machte sich in den vergangenen Jahren auf Soundcloud in der Digicore-Szene einen Namen. Unter diesem Deckmantel treiben ein Haufen Teenager, deren Einflüsse von Big Time Rush bis Aphex Twin reichen, seit 2017 das Genre ununterbrochen und mit nicht endender Experimentierfreude voran. Was "Teen Week" von einem Großteil des oft durch die Ironie-Brille des Internets gefilterten Outputs dieses Subgenres unterscheidet, ist die Verletzlichkeit und Offenheit die dltzk darauf zur Schau stellt.

Im Kern ist "Teen Week" ein unverblümter Blick in das Chaos und die Unsicherheit im Kopf eines queeren Teenagers. Das lässt sich nicht nur auf dltzks verwundbare Lyrik zurückführen, auch das musikalische Grundgerüst, ein wildes Potpourri aus Drum'n'Bass, Pop, Noise, Trap, Emo und Cloud Rap schafft einen angemessen aufreibenden Soundtrack für die Teenage Angst die dem Projekt zugrunde liegt.

Es sind gerade jene Momente, in denen sich diese Anspannung und die Wut, die sie hervorruft, entladen, die "Teen Week"s Produktion so aufregend machen. Etwa wenn dltzk in der zweiten Hälfte von "Woodside Gardens 16 December 2012" zum befreienden Schrei ansetzt, und das ätherische Sample mit den rasselnden Drums zu etwas Außerirdischem verschmelzen. Oder "52 Blue Mondays", in dem im Mix vergrabene, verglitchte Emo-Vocals von Breakbeats angepeitscht werden, die ununterbrochen gegen die scheppernden Drums und das hintergründige Noise-Monster ankämpfen, das am Ende über den Track herfällt.

Die hyperaktive Dynamik, mit der dltzk diese grundlegend verschiedenen Genres miteinander verwebt, ist offensichtlich von Künstler*innen wie 100 gecs inspiriert, traut sich stellenweise jedoch noch weitaus mehr. Noch mehr Kontraste, noch mehr wahnsinnig ineinander strudelnde Samples, noch mehr tonales Chaos: In seinen experimentellsten Momenten ist die Produtkion nahezu atemberaubend innovativ. Und all das ohne auch nur einen Hauch an Eingängigkeit einzubüßen. Die Hooks von "52 Blue Mondays" und allen voran "Homeswitcher" mögen fast zur Unkenntlichkeit gepitcht sein, kanalisieren aber trotzdem zuckersüßen Ear-Candy nahe der Perfektion.

Die konventionelleren, ruhigeren Momente des Albums, die dltzks Stimme mehr Raum geben, profitieren davon im Gegenzug nur bedingt. So ist "Let Down" beispielsweise trotz seines emotionalen Inhalts der mit Abstand schwächste Song, da es der flachen Produktion nicht gelingt über das vokale Manko dltzks hinwegzutäuschen. Auf anderen Songs hingegen ("Dysphoria") setzt aufgrund des monotonen Vortrags, und mehr instrumentaler Abwechslung ein ähnlich ausgleichender Effekt wie bei Bladee ein: Objektiv betrachtet, ist das kein guter Gesang, das hört jeder, aber in diesem verträumt abgedrehten Rahmen, gepaart mit der Verletzlichkeit der Lyrics, funktioniert das ganz ausgezeichnet.

Ohnehin ist "Teen Week" für dieses Genre ein sehr lyrisches Album, da dltzks vermeintliches Anderssein die Wahrnehmung anderer sowie den eigenen Umgang damit als Leitmotiv dient. Das hat hier und da in geschriebener Form einige platt formulierte Ecken und Kanten, bleibt aber dennoch emotional potent. Gerade "Cartridge" und der Closer gehen stellenweise unter die Haut. "Get lost in cartridges and screens so I can smile and laugh I think / I'll run away but never leave my room so there's no baggage", heißt es da unter anderem. Und weiter: "Losing my mind over a tweet that makes me think of my dad / I know I'm not what he wanted, I know he can't try again". Zeilen die hunderten Jugendlichen gerade jetzt aus der Seele sprechen.

"Seventeen" erforscht wenig später, die Emo-Wurzeln die vielen Songs lyrisch zugrunde liegen auch instrumental. Über ein Gitarren-Sample kotzt dltzk geplagte Gefühle aufs Papier, ehe etwas mehr Leben in die monotone Stimme kommt, und dltzk mit einem fast Pop-Punk-esken Tonfall den Refrain wie ein Mantra wiederholt, während das Instrumental hintergründig anschwillt. "I'm hiding all my skin, you can't make me take it off / We're walking to the bus and I wish that we could stop / But I was never good at being anything you're not".

Das hat, wie erwähnt ,relativ wenig mit dem regenbogenfarbenen Eskapismus zu tun, den dieses Genre zumindest kommerziell zu großen Teilen dominiert. Dabei ist es nicht minder wichtig, dass es eben auch Menschen eine Stimme gibt, die den Struggle noch nicht hinter sich gelassen haben, die nach wie vor mit ihrer eigenen Identität ringen, und die auch in einer scheinbar toleranten Welt noch gegen die intolerante Wahrnehmung ihrer selbst kämpfen müssen.

"Teen Week" ist aber nicht nur deswegen hörenswert. dltzks Debüt mag noch etwas rough around the edges klingen, und ist sicherlich noch ein Stückchen davon entfernt das Genre als ganzes voranzutreiben. Aber innerhalb seiner Nische gehört es wohl zu den besten Releases, die man dieses Jahr zu hören bekommen wird. Der Grundstein für eine vielversprechende Karriere.

Trackliste

  1. 1. Let Down
  2. 2. Homeswitcher (feat. kmoe)
  3. 3. 52 Blue Mondays
  4. 4. Dysphoria
  5. 5. Cartridge
  6. 6. Beast Friend
  7. 7. Woodside Gardens 16 December 2012
  8. 8. Seventeen

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