laut.de-Kritik

Harte Avantgarde-Nuss fernab aller Standards.

Review von

Normalität spielt im Werk einer Künstlerin wie Björk nur eine untergeordnete Rolle. Seit Jahren schafft sich die Isländerin ihre eigene Realität und bewegt sich damit nicht selten in Sphären, in der Mainstream, Standard und Eingängigkeit so präsent sind wie Wasser in der Wüste.

Innovativ und erleuchtend nennen es die einen, während die anderen nur verwirrt mit den Achseln zucken.
Björk fühlt sich wohl in ihrem eigens kreierten Kosmos aus weltfremder Spiritualität, farbenfrohen Fantasie-Landschaften und Klangbildern fernab vom Airplay-Gedanken.

Vier Jahre nach "Volta" dringt die quirlige Insulanerin endgültig in Gefilde vor, die die Norm ad absurdum führen. "Biophilia" ist nicht einfach nur ein weiteres neues Album der Pop-Elfe, sondern ein multimediales Gesamtkunstwerk. Zwischen Apps, einer eigenen Webseite, bahnbrechenden Live-Visionen und einem geplanten Dokumentationsfilm stellt die Audio-CD letztlich nur einen Bruchteil dessen dar, was in seiner Gesamtheit als revolutionäres Unterfangen in die Musikgeschichte eingehen soll.

Auf dem klanglichen Teilstück dieses Mammut-Projektes stellt sich Björk die Frage, inwieweit Technik, Natur, Wissenschaft und Musik in Einklang zueinander stehen. Verstörte Beat-Fragmente, dichte Synthie-Arrangements und das markante Stimmorgan der Isländerin bilden dabei das Fundament, auf dem sich Zeit und Raum verlieren und Verwobenheit und abstrakte Strukturen zu einem Verbund verschmelzen.

Lediglich "Sacrifice" und "Crystalline" bieten einen Ansatz von populären Song-Formen. Der Rest ist eher ein in sich geschlossener Soundtrack für Reisende jenseits des Horizonts. "Virus" oder "Hollow" rauschen fast schon unbemerkt an einem vorbei, während "Dark Matter" orchestrale Wucht mit tiefsten Bässen paart. Die Suche nach eingängigen Melodien oder erkennbaren Refrains erinnert alsbald an das berühmte Gleichnis von der Nadel im Heuhaufen.

Der Name Björk stand sicherlich noch nie für sonderlich harmonische Zugänglichkeiten, sieht man einmal von unnachahmlichen Perlen wie "Army Of Me" oder auch "Human Behaviour" ab. Doch mit "Biophilia" überspannt die Pop-Exzentrikerin den Bogen etwas.

Fernab vom neuzeitlichen Standard sträubt sich sperrige Avantgarde gegen alles, das auch nur ansatzweise an Pop-Musik erinnern könnte. Selbst Björk-Kenner und Liebhaber dürften sich an dieser Klang-Nuss die Zähne ausbeißen.

Trackliste

  1. 1. Moon
  2. 2. Thunderbolt
  3. 3. Chrystalline
  4. 4. Cosmogony
  5. 5. Dark Matter
  6. 6. Hollow
  7. 7. Virus
  8. 8. Sacrifice
  9. 9. Mutual Core
  10. 10. Solstice

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LAUT.DE-PORTRÄT Björk

Sie ist klein und stammt aus Island. Ihre Musik aber ist groß und von Welt. Björk Gudmundsdottir wird am 21. November 1965 in Reykjavik geboren und …

63 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    Ehrlich gesagt kann ich den Verriss so nicht ganz hin nehmen. Es scheint also ob es manche Künstler gibt die anspruchsvoll und uneingängig sein dürfen und andere nicht. Sorry, aber Aphex Twin darf alles? Meshuggah können gar nicht abgedreht genug sein, wenn die nen 4/4 aufs Parkett legen werden sie wohl mit Tomaten beworfen. KiLLL werden überall gelobt. Die neue Radioheadscheibe ist ebenfalls mitlerweile sowas von das Gegenteil zu Pablo Honey und alles Andere als leichte Kost, bekommt 5/5. Aber sobald Björk drauf steht muss es Pop sein? Schon möglich das einige alte Fans verprellt sind. Aber nur weil ein Album sich nur schwerlich erschließt ist dies maximal ein Makel für den allgemeinen Verkauf. Wobei ich mich erinnere das, wenn es andersrum ist und ein avantgardistischer Künstler plötzlich eingängigere Platten macht um auch mal Kohle zu sehen, ist es Kommerz. Ähh, was wollen manche hier eigentlich? Maoam? Mir gefällt das neue Album und ich finde es ist auch gar nicht so ein Brett. Kann sein das ich als Musiker da eher hinter steige und vielleicht liegt es auch daran das ich mich gar mit so abgefahrenen Sachen wie Dillinger Escape Plan oder PsyOpus anfreunden kann. Wenn wir uns darauf einigen das dieses Album ggf. polarisiert nur weil der geneigte Pophörer es nicht versteht oder es ihm zu schwer liegt so sollte doch zumindest die goldene Mitte in Form von 3/5 drin sein, alles Andere erweckt dann eher den Eindruck einer subjektiven Wertung, so meine ich.

  • Vor 13 Jahren

    Seit dem Stön-Schrei-Quietsch-Totallausfall MEDULLA freue ich mich über jedes Björk Album, das im Gros nicht über die Grenze des Erträglichen geht. Und VOLTA war ja schon ein kleiner Hoffnungsschimmer. BIOPHILIA ist endlich wieder ein großer Wurf, bei dem nur noch wenige Tracks ätzend sind (HOLLOW muss ich immer noch regelmäßig skippen; auf meinem Island-Import ist zusätzlich noch ne 7 Minuten Version drauf; danke!;). Man muss es oft hören, bis man ein (gutes) Gefühl dazu bekommt. Das ist erst einmal Arbeit, aber man wird belohnt. Was zu schnell gefällt, geht auch schnell wieder auf die Nerven. Hier gilt das Gegenteil. Man erobert sich neues Terrain, das auf lange Sicht befriedigender ist als bereits erschlossene musikalische Präferenzen (mehr vom selben verliert immer schneller die Wirkung, das gilt nicht nur für Drogen, sondern für jede Informationsaufnahme). Ich habe mich abgearbeitet und kann elaborierte 4 von 5 Punkten vergeben. Abzug gibt es für besagte weiße Flecken auf der größtenteils wohlig blaugraugrünen Landschaft. Wer schon mal in Island war, wird BIOPHILIA im Übrigen schneller und besser verstehen, denn im Grunde ist es das Musik gewordene Land.
    4/5

  • Vor 10 Jahren

    Man sollte sich mit so einem Album schon näher beschäftigen... von wegen es sei nicht zugänglich... Einige Songs entwickeln nach einiger Zeit echt Eingängigkeit und abgesehen davon ist ihr Soundcosmus und ihr Gesang einfach so... es nimmt mich einfach immer wieder mit, sie schaffts immer, mich in ihre Welt zu entführen und mich zu berühren. Klar sind "Dark Matter" und "Hollow" sehr gewöhnungsbedürftig, bzw. gelingt es kaum, sich an diese Songs zu gewöhnen, aber der Rest ist ganz ganz große Klasse!