laut.de-Kritik
Das spaßigste Mixtape des Jahres.
Review von Rinko HeidrichAls die Zukunft der Popmusik wurde das Weirdo-Duo 100 gecs vor vier Jahren gepriesen, als sämtliche Musikmagazine den nächsten massiven Trend namens Hyperpop vorausahnen wollten. Ein wenig greifbares Genre, dessen Ursprung genauso wenig definierbar ist wie die Zuordnung der einzelnen Künstler. Als bisherige Richtmarken gelten Skrillex mit seinem Proto-Hyperpop und vor allem das Label PC Music um A.G. Cook, der immerhin eine Philosophie um den schwammigen Begriff entwarf. Doch so hyper alles sein mag, das Einsickern in den Mainstream verlief zäher als gedacht. Und kurz bevor die Hipster bereits das Ende orakeln, kommt nun das zweite Album der 100 Gecs. Der große Schlusspunkt, Sellout oder die Zukunft einer Ära?
Das Schöne: Dylan Brady und Laura Les aus St. Louis kümmert es gar nicht. Sie setzen genau da an, wo der Vorgänger "1000 Gecs And The Tree Of Clues" endete. Wie zwei Musikmagneten saugen sie weiterhin alle Stile auf. Ein fast schon lächerliches Hardrock-Riff eröffnet ein herrlich spinnertes und respektloses Album. "Dumbest Girl Alive" klingt wie diese verkifften Abende, an denen man sich ein iPad schnappt und in Garage-Band vollkommen stoned sämtlich Presets hintereinander baut.
Die 100 gecs spielen mit einem leicht verblödeten Stoner-Image, bleiben aber im Kern zwei smarte Musiknerds, die ihren musikalischen Flohzirkus immer im Griff behalten. In einem Interview mit Pitchfork ließ Brady wissen, dass er gerne Praktikanten hätte, die für ihn alle Nummer-Eins-Hits der amerikanischen Billboard-Charts katalogisieren. Genau die Art von Nerds also, die stundenlang über Polyrhythmen in Britneys "One More Time" reden, die schrägsten Filme der Sechziger Jahre schauen und Thesen aufstellen, warum der verlachte Trash-Blockbuster in Wirklichkeit eine tiefere Message beinhaltet.
Was anfangs noch chaotisch wirkt, entfaltet zunehmend Ohrwurm-Charakter. Den Hörer bei Laune zu halten ist schließlich oberste Regel. Ob ein "Last Resort"-Zitat von Papa Roach oder harte Sum 41-Vibes bei "Hollywood Baby": Das Riff befördert ein Pop-Punk-Narrativ, das Eskalation verspricht. Hier machen sich 100 gecs über die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie lustig, wenngleich sie nun selbst Teil des Systems sind und das Album beim Majorlabel Warner Music erscheint. An den Drums sitzt mit Josh Freese ein Musiker, den sonst nur die Großen buchen (Nine Inch Nails) und Mark "Spike" Stent (Madonna, Lady Gaga, Beyoncé) war für den Mix verantwortlich. So ein Team bildet niemand, der keine größeren Ambitionen verspürt.
Dies geht manchmal zulasten der Weirdness. In "Frog On The Floor" wartet man vergeblich auf den üblichen Break mit Kickdrums und den hochgepitchten Autotune-Stimmen. Vielleicht sogar ein Meta-Joke über den Crazy Frog, diese unverschämt erfolgreiche Heimsuchung der Nullerjahre. Es passiert nur nicht. Der Frosch-Song bleibt einfach ein ganz klassischer Ska-Song, sieht man von den Frosch-ähnlichen Effekten ab. Ein lustiger Pop-Song ohne Hyper. Es geht wirklich nur um den kleinen grünen Kerl, der lustig über den Hausboden hüpft. So trivial, dass es der größte Hit der 100 gecs werden könnte. Zukunfts-Pop am Arsch, aber macht Laune. "I Got My Tooth Removed" erlaubt einen kleinen Freak-Moment, dürfte aber keinen Reel Big Fish- oder No Doubt-Fan erschrecken.
"10,000 Gecs" ist in erster Linie das spaßigste Mixtape des Jahres. Wer kommt auf einen Nu-Metal-Sound wie in "Billy Knows Jamie"? So einen angenehm stumpfen Rap-Rock, der White-Trash-Partys wie 1999 heraufbeschwört, hatten wir doch auf dem öden Comeback-Album von Limp Bizkit erwartet. Alles dabei, von DJ-Scratches bis zur gepressten Aggro-Flüster-Stimme, nur vollkommen andere Vibes, wenn zwei Menschen aus der LGBTQ-Community und keine bärtigen Testo-Typen ihre Macho-Attitüde aus dem Leib growlen. Sollte man im Umkehrschluss über Nu-Metal und den Einfluss auf Hyperpop nachdenken? Besser nicht.
Und dann diese catchy Ohrwürmer wie "Doritos & Fritos": Wenige Songs dürfen mit so wenig Sinn so viel Spaß verbreiten. Einfach ab in den Mosh und irgendwas über Knabberkram, Käse und Griechenland reimen. Und dann erst checken, dass einfach mal MF Doom und seine Line aus "Accordion" zitiert wird. Einer von unfassbar vielen Nerd-Inside-Momenten auf "10,000 Gecs". Das fettige Zeug stand bei MF Doom allerdings für Drogenkonsum. 100 gecs kokettieren auch gerne damit, dass der Ursprung ihrer Songs gerne mal aus der Einnahme von Zeug resultiert.
Nicht weniger deppert wiederholt "One Million Dollar" eine Minute lang genau die drei Wörter per Voice-Over-Stimme. Momentan ist auf TikTok genau dieser bequeme Text-To-Speech sehr beliebt, weil Influencer nicht mal mehr ihre dummen Off-Sprüche selber einsprechen wollen. Bevor es dann doch zu wild wird, holt einen ein genervtes "Fuck you!" und ein Funk-Bass wieder raus.
Wahrscheinlich ein Lernprozess aus den letzten Jahren oder eine Mahnung vom Major-Label, nicht alles dem Effekt unterzuordnen. Ihre Seele haben 100 gecs jedenfalls nicht verkauft, eher rückt die große Nerd-Leidenschaft für Popkultur noch stärker in den Vordergrund. Eine Befreiung von Hyperpop, ihrer Szene-Polizei und ein Schritt in Richtung Post-A.G.-Cook-Ära. "10,000 Gecs" schafft schnell den Turnaround von einem verzweifelten "Ich kann nicht mehr" zu einem euphorischen "Ich will noch viel mehr davon". Leider ist das Album genau dann vorbei.
4 Kommentare mit einer Antwort
Hat was. Kann aber an meinem Crossover Faible aka Geschmacksverirrung liegen.
Okay...kommt hart auf den Track an. Hollywood Baby zb geht gar nicht. Wie Oberstufenpartymusik mit mehr Schmackes.
Dieses Album ist so wunderbar weird, ich liebe wirklich sehr viel daran. Sicherlich nicht für jeden, aber ich find, man sollte ihm eine Chance geben. "mememe" ist mein absoluter Lieblingssong glaub ich. Mehr dazu hier: https://youtu.be/4Ub0DuafFBc
Frog on the Floor Song des Jahres.
Das intro läuft bei mir seit release. Das ist so dummgeil