laut.de-Kritik

Das "Mystic Stylez" einer neuen Generation.

Review von

Die ersten Blätter fallen von den Bäumen, nachts nähern sich die Temperaturen immer schneller dem Nullpunkt, und wo man auch hinsieht, wird mit Kürbissen die Werbetrommel gerührt: Der Herbst ist da. Hierzulande führt das zwar höchstens dazu, dass Onkel Ulli sich gezwungen sieht, seine neuen Trekking-Schuhe auszuprobieren. In Übersee dagegen freut man sich bereits jetzt auf Halloween. So auch 21 Savage und Metro Boomin. Ohne große Vorwarnung entsteigen sie ihren Gruften, um uns mit der Fortsetzung ihrer "Savage Mode"-EP auf die gespenstische Kürbisfest-Saison einzustimmen.

Vergessen sind Introspektion und klangliche Vielfalt von "i am > i was". "Savage Mode II" ist Mördermusik, wie sie im Buche steht. Metro und Savage entführen uns in die Unterwelt. Von den Drogensümpfen Louisianas durchs West End Atlantas bis hin zur Schattenseite der Hollywood Hills: Das Duo beschwört Bilder aus Horrorfilmen. 21 erzählt von verlorenen Seelen, weinenden Müttern und versteinerten Herzen, während der Produzent aus St. Louis als ominöser Organist im Hintergrund die Fäden zieht.

Im Fahrwasser von Three 6 Mafia, John Carpenter und Future kleistert Metro Boomin einen Hybrid aus Dirty South, Horrorcore und Atlanta-Trap zusammen, der so vielschichtig, hypnotisch und detailliert ausfällt, dass man seine volle Bandbreite erst nach mehreren Durchläufen vollends zu greifen vermag. Halloween-Synths, ein blecherner Bass und aggressiv rasselnde Hi-Hats bestimmen das Klangbild und fließen Song für Song unsagbar smooth ineinander über. Alles klingt wie aus einem Guss, nichts schablonenhaft oder abgenutzt.

In den Momenten, in denen die Beats tatsächlich drohen, zu uniform zu klingen, holt Metro die Streicher raus ("Glock In My Lap"), sampelt Diana Ross, 50 Cent und Stephanie Mills einmal quer durch die Geisterbahn, oder legt mit "Steppin On Niggas" einen U-Turn hin und serviert 90er-Westcoast-Disco-Shit. Was J Dilla für experimentellen Hip Hop war, ist Metro Boomin für Trap, und "Savage Mode II" ist womöglich sein Opus Magnum.

21s Leistung ist deswegen aber mitnichten zu vernachlässigen. Schließlich ist es die Symbiose aus seinen kaltblütigen Rhymes und Metros Arbeit am Laptop, die "Savage Mode II" so großartig macht. Auch wenn er sich musikalisch auf seine Anfänge besinnt, merkt man seinem Wortspiel, seiner Kadenz und seinen Flows dennoch an, wie sehr er mit "i am > i was" als Künstler gereift ist. Hatte er auf "Savage Mode" nur den immer gleichen entschleunigten, emotionslosen Flow in petto, liefert er auf dem Nachfolger deutlich mehr stimmliche Nuancen.

Mal aggressiv, mal laid-back, mal betrübt, mal fast schon fröhlich rappt Savage von seinem Alltag als Monarch des Südstaaten-Untergrunds. Das ist inhaltlich absehbar repetitiv, aber dennoch mit genug Virtuosität vorgetragen, um nicht zu langweilen.

So bleiben einem nicht nur die simplen, aber grandiosen Hooks von "Runnin", "Many Men" oder "Snitches & Rats" länger im Gedächtnis. Auch der unbändige Hunger mit dem sich 21 durch seine Verses auf "Slidin" frisst, One-Liner wie "He think he the battery, we call him Elon Musk" sowie die zahlreichen ikonischen Adlibs hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Das gleiche gilt für die Gastauftritte von Young Thug und Young Nudy, die zu den genau richtigen Zeitpunkten ein wenig frischen Wind in die Abgründe von "Savage Mode II" bringen.

Besondere Erwähnung hat "RIP Luv" verdient. Als wohl emotionalstem Song des Albums wohnt ihm nicht nur aufgrund der für 21 Savage ungewöhnlichen Verletzlichkeit eine besondere Rolle inne, er stellt auch die überraschend kompetenten Storytelling-Skills des Rappers zur Schau. Die altbekannte Geschichte einer zerbrochenen Gangster-Liebe verpackt er in lebendige Bilder, und auch vor ein wenig Seelenstriptease schreckt er im Chorus nicht zurück: "I be cryin' on the inside and smilin' when the cameras on."

Als einzigen Makel lässt sich das etwas ungeschickt-verführerische "Mr. Right Now" ausmachen. Nicht nur fällt Drakes Verse inhaltlich vollkommen aus der Reihe, der gesamte Vibe des Songs steht fast schon im Konflikt mit der mörderischen Atmosphäre von "Savage Mode II". In einem anderen Rahmen wäre 21s Mut zur Sexyness (oder zumindest dem, das er darunter versteht) durchaus lobenswert, hier wirkt es schlichtweg fehl am Platz.

Die abschließende Cherry On Top ist Morgan Freeman, der sämtliche Interludes spricht und uns mit seiner allwissenden Präsenz durch das gesamte Album begleitet. Der schiere Fakt, dass Morgan Freeman ein 21 Savage-Album moderiert, erscheint eigentlich schon beeindruckend genug, der Altmeister macht seinen Job aber auch erwartungsgemäß überragend und verleiht dem schauerlichen Charakter der LP die finalen Feinschliffe.

Es begeistert, 21 Savage dabei zuzusehen, wie er sich mit jedem weiteren Album mehr und mehr an die Speerspitze der neuen Dirty South-Generation drängt. "Savage Mode II" lässt nicht nur seinen Vorgänger im Staub zurück, es läuft auch "High Off Life" und "Eternal Atake" mit Leichtigkeit den Rang als bestes Trap-Album des Jahres ab. Mehr noch: Savages drittes Studio-Werk hat sogar das Potenzial, im Laufe der Jahre, als das "Mystic Stylez" einer neuen Generation in den Genre-Olymp aufsteigen. Bis dahin: "Stay in Savage Mode. Because anything else would be too damn civilized."

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Runnin
  3. 3. Glock In My Lap
  4. 4. Mr. Right Now (feat. Drake)
  5. 5. Rich Nigga Shit (feat. Young Thug)
  6. 6. Slidin
  7. 7. Many Men
  8. 8. Snitches & Rats (Interlude)
  9. 9. Snitches & Rats (feat. Young Nudy)
  10. 10. My Dawg
  11. 11. Steppin On Niggas
  12. 12. Brand New Draco
  13. 13. No Opp Left Behind
  14. 14. RIP Luv
  15. 15. Said N Done

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