laut.de-Kritik

Transperspektive auf Sex, Liebe und Herzschmerz

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Vier Jahre sind ein geeichtes Zeitmaß für Veränderungen - von der Festsetzung bis zum Wandel. So liest es sich jedenfalls im Promotion-Papier zum neuen Against Me! Album "Shape Shift With Me": Legislaturperioden und Collegeaufenthalte dauern in der Regel so lange. Und vier Jahre ist es auch her, dass sich Against Me! Frontfrau Laura Jane Grace als Transgender outete.

Diese Zeitspanne schien ihr genau richtig, um jetzt mit neuer Blickrichtung nachzulegen. Drehte sich auf dem Vorgängeralbum "Transgender Dysphoria Blues" noch vieles um die gesellschaftlichen Umstände und Schwierigkeiten des Transgender-Daseins und ihren ganz persönlichen Kampf damit, richtet sie den Blick jetzt vom psychischen auf das emotionale Innenleben, um, gemäß dem Plattentitel, den Wandel zusammen mit der Hörerschaft zu formen und zu implementieren.

Der Opener "Provisions L-3" ist dabei noch am angriffslustigsten geraten. Ein ungestümer Punkrocker mit viel Zug nach vorne bohrt in unter zwei Minuten eine Platte auf, die ab dann tief in den Gefühlshaushalt blicken lässt. "Shape Shift Me" ist ein Album über die Liebe, genauer gesagt eines, das sich darum dreht, die Welt zu bereisen und sich zu ver- und entlieben. Es ist gleichzeitig das wahrscheinlich erste Beziehungsalbum aus der Perspektive eines Transmenschen. Grace wollte laut eigener Aussage die transsexuelle Antwort auf die Rolling Stones-Platte "Exile On Main St." schreiben und damit die Transperspektive auf Sex, Liebe und Herzschmerz präsentieren.

Dass so etwas in den Händen von Against Me! nicht gerade blumig ausfällt, war abzusehen: "Treated me like a boyfriend, some dumb fucking boyfriend", singt Grace in "Boyfriend", einem midtempo Punksong, den es unbedingt auf die große Stadionbühne zieht. Seit ihrem opulenten fünften Studioalbum "White Crosses" von 2010 weiß man, dass sich die US-Band aus Gainsville dort besonders wohl fühlt.

Für diesen Song kollaborierte Grace mit Cody Votolato von The Blood Borthers, mit dem sie eigentlich gerade an Songs für ein anderes Projekt schrieb und dadurch eher zufällig die übliche Arbeitsweise aufgab. Das meiste war daraufhin im Bandkollektiv entstanden und Votolato hatte sich neben "Boyfriend" auch für die zappelige Punkrockdisco in "Norse Truth" um Credits verdient gemacht.

Insgesamt wirkt "Shape Shift Me" allerdings zahmer und poppiger als die Vorgängeralben. Songs wie "333", "Suicide Bomber" und "All Of This (And More)" schunkeln sich auch mal zum rettenden nächsten Chorus. Das wird die echten Fans kaum abschrecken. Gelegenheitshörer werden aber vor allem die ungeschliffene, melodieverliebte Schroffheit aus "New Wave" Tagen vermissen, die "Shape With Me!" leider fast völlig abgeht.

Das siebte Studioalbum trägt deshalb vor allem aufgrund der Thematik und der politisch geladenen Beziehungskisten. So schnell werden sich (falls überhaupt jemals wieder) Against Me! auch nicht von der Transsexualität als Kern ihres Outputs verabschieden. Bereits im November veröffentlicht Grace unter dem Titel: "Tranny: Confessions Of Punk Rock’s Most Infamous Anarchist Sellout" ihre Memoiren. Der Stoff scheint noch lange nicht auserzählt – wie könnte er auch, als World‘s Greatest Trans Punk.

Trackliste

  1. 1. Provision L-3
  2. 2. 12:03
  3. 3. Boyfriend
  4. 4. Crash
  5. 5. Delicate. Petite & Other Things I’ll Never Be
  6. 6. 333
  7. 7. Haunting. Haunted. Haunts
  8. 8. Dead Rats
  9. 9. Rebecca
  10. 10. Norse Truth
  11. 11. Suicide Bomber
  12. 12. All Of This (And More)

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