laut.de-Kritik
Tocotronic bitten zum Tanztee und Blumfeld swingen dazu.
Review von Kerstin KratochwillWem PeterLicht zu albern geworden ist und Tocotronic zu verkopft, dem sei Albrecht Schrader ans junggebliebene Herz gelegt: Der studierte Musiker und subtile Entertainer ist den meisten wohl am besten bekannt als Leiter des Rundfunk-Tanzorchesters Ehrenfeld von Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale, dessen Zukunft so ungewiss ist wie die Neuausrichtung der Late-Night-Show im ZDF. Zudem arbeitete Schrader als Studiomusiker für unterschiedlichste Künstler wie Peter Doherty oder Herrenmagazin sowie live für die Augsburger Indie-Pop-Band Anajo.
Sein Solo-Debüt gab er 2012 mit der EP "JillMcBain", es folgte ein Instrumental-Album und 2017 das erste Pop-Album "Nichtsdestotrotzdem". Der Zweitling "Diese Eine Stelle" kann dann als Synthese all dieser Erfahrungen gelten: Wir hören fein komponierte Pop-Songs, Show-Melodiebögen und elektronische Tanzmusik im gewohnten Neo-Big-Band-Flair. Späte Blumfeld treffen hier auf eine Art reduzierte Münchener Freiheit und flirten mit dem Sophisticated Pop von Style Council.
Die Songs erzählen Geschichten vom Aufwachsen als Junge aus gutem hanseatischen Hause in Hamburg: Es geht um Golfplätze, um Privilegien, um erste Küsse und Klischees, um Schamgefühle und um die Furcht als Großbürgersohn in der alternativen Musikszene aufzufliegen. All das verpackt Schrader unprätentiös und unwiderstehlich in einer Coming-Of-Age-Story und hantiert dabei nicht einmal mit Nostalgie, sondern mit Widersprüchen und Widerhaken. So wie die Golfschläger in der Leadsingle "Auf Dem Golfplatz" sich kreuzen, treffen in diesem Hamburg-Album dann Unvereinbares aufeinander wie Dosenbier und Champagner oder Pflasterseine und Polo-Hemden.
Da passt es ganz wunderbar, dass Paula Irmschler, die gerade mit "Superbusen" einen großartigen Roman über Chemnitz (und vieles anderes!) geschrieben hat, einen Text zu Schraders Album beisteuert. Vielmehr ist es eine eigene Story, in der es unter anderem heißt: "Er könnte dann wieder der Mensch von damals sein, sorglos irgendwie, aber vor allem ahnungslos, auf dem Golfplatz, mit dem Mädchen, dem Wein, der noch leisen Musik und der Angst. Tränen auf dem Polohemd: Bloß nicht. Gleichzeitig: Doch, bitte. Denn dazu gehört all das Schöne, das Imposante, das Zarte und die Schrulligkeiten. Elbchaussee und Fluglärm, das muss wieder her, hierher".
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