laut.de-Kritik
Ironic German Funkrock.
Review von Philipp Kause"Wenn du einsam bist, dann googel einfach mich", mit solch frappierenden Zeilen wartet Alli Neumann im deutschsprachigen Funkrock ihres zweiten Longplayers "Primetime" auf. Dank ihrer familiären Sozialisation Blues-Fan, außerdem inspiriert von der NDW und von der Haltung her auch gerne Punk-alternativ, serviert Alli ein Pop-Album voller eingängiger Riffs und Melodien, das sie höchstselbst komponiert, schreibt und gitarrenveredelt. Mit überraschenden Effekten, Texten, Basslines und Kontrasten ist das Resultat sogar in allererster Linie funky und Alternative zugleich.
Auch wenn man's im ersten Moment vielleicht nicht glauben mag, weil entsprechende Offbeats und Takthüpfer in Verbindung mit dem Deutschen erst mal den Anschein des Unplausiblen haben. Die Berlinerin mit den polnischen Wurzeln ihrer Mama, die sie in "Lebenswerk" würdigt, kitzelt jedoch maximale Elastizität aus dem Germanophonen heraus. Diese Dehnfähigkeit reicht von knapp skizzierten, aber effektiven Bildern, z.B. "so heiß, wie du mir die kalte Schulter zeigst" über unauffällig manipulierte Reime ("manchmal fühl ich mich danach zu wein'n / doch dann hör ich diese funky Bassline") bis hin zu markanter Selbstreflexion: "Für dich bin ich ein Golden Retriever / loyaler, als mir jemals lieb war / ich fall vor dir auf die Knie / ich dachte eigentlich, ich will das nie."
Einen gewissen Touch Neue Deutsche Welle wird dann in Verbindung mit einer Prise New Wave-Groove sofort unweigerlich jeder erkennen, der eine Handvoll NDW-Hits im Ohr hat. Die Referenzen klingen auf verschiedenste Art an: Lyrisch, wenn es zum Beispiel trotzig und ein bisschen dadaistisch heißt "Baby ich liebe-liebe-liebe mich / manchmal n bisschen mehr als dich / Baby ich liebe-liebe-liebe mich / manchmal auch gerne ohne dich" und Stephan Remmlers Trio nicht weit weg wirkt. Thematisch erscheint die NDW-Glanzzeit am Firmament, sobald in "Alien" auch Raumschiff-Metaphorik anklingt, Alli zwar nicht im Sauseschritt düst, aber doch "keine Angst vorm Fliegen" hat und ein Treffen "in der Unendlichkeit" vorschlägt.
Musikalisch fällt die teils kontraintuitive Phrasierung auf, wenn Atempausen jenseits der Taktgrenzen fallen und das Mechanistische jener alten Eighties-Kickdrum Machine-Hits bewusst oder unbewusst zitiert wird. Oder wenn in "Alien" manche Stellen, z.B "Wer hat die Regeln für diese Welt erfunden?" als Mash-Up aus "Eisbär" (Grauzone) und "Der Goldene Reiter" (Joachim Witt) rüber kommt. Die Kopplung aus Harmoniefolge und Beat-Pattern des ikonischen Goldener Reiter-Hits erzeugt auch eine gewisse Vertrautheit. "Ihr könnt eure Gravitation --- [Kunstpause] behalten" ähnelt verblüffend der berühmten Stelle "ich bin ein Kind dieser Stadt". Das Vertraute lässt einen dann manche Ausreizung an Stil-Clashes klaglos mitgehen, selbst wenn's mal plakativ wird.
Um diesen einen Kritikpunkt kommt man bei der eigentlich spannenden Scheibe nicht vorbei: Den Disco-Beat von "Berlin Nightlife" hätte es in Anbetracht von nunmehr drei Disco-Retro-Revivals binnen 25 Jahren nicht wirklich gebraucht. Ein Zitat zu viel. Andererseits handelt das Lied eben gerade davon, wie die Protagonistin das Nachtleben meidet und all ihr Party-Treiben auf eine einzige ausgeflippte Nacht im Jahr legt. Aus so einer Perspektive muss man sich dann natürlich die Disco-Classics geben und kann man einen Jamiroquai-Verschnitt selbst in einem Track über die Hauptstadt der Kieze ausnahmsweise cool finden, sogar kultig. Womit Alli das Klischee karikiert, wer in Berlin wohne, giere automatisch auf einen hedonistischen Lifestyle in einer Fülle von Ausgeh-Optionen und größtmöglicher soziokultureller Ausdifferenzierung.
"Primetime" unterhält gut. Es ist ein optimistisch fröhlich bounzendes Album mit tiefgängigem Mut zur Traurigkeit und Resignation. Es ist ein durchgängig smooth produziertes Album, dessen Abmischung gleichzeitig eine breite Dynamik ausschöpft. Mal verblubbern die Vocals im Sound-Strudel wie in "1000 Winter Lang", dann schneiden sie wieder den satten Band-Gesamtklang schrill durch. Überhaupt kommt schon durch die Stimme viel Abwechslung ins Spiel, wenn Alli mal Richtung Deutschrap zieht ("Ich Liebe Mich"), Spoken Word-Splitter mit rauem Timbre einsprüht ("Blue"), Rock'n'Roll-Stotter-Vortrag nutzt ("ma-ma-ma-ma-mein Herz aus Ei-is" in "Immer Da Wo Du") oder seufzend von ihrer besagten Rolle als Golden Retriever erzählt und in "So Wie Du" hingebungsvoll ihre Liebesgefühle ausatmet.
"So Wie Du" muss man, auch wenn es schon einige Monate als Single kursierte, als meilensteinige Deutsch-Ballade und 'funky' funkelnden Diamant loben. Großes Kino, funktioniert live bereits erstklassig. Spannend aufgebaut, eingängig, wunderschöne Melodie, sanfter Drum'n'Bass-Unterleger mit Säge-Gitarre, mit dem Charme von Morcheebas "Big Calm"-Platte.
Als großes Thema auf "Primetime" setzt sich die Liebe mitsamt Reflexion über Beziehungen durch, mitunter selbstironisch: "Ich hab sogar Geduld für meinen Mann / ich wusste gar nicht, dass ich so lieben kann." - Alli ergründet "bedingungslose" Hingabe, erhellt der Promotext, jedoch kommentiert sie zum Beispiel in einem Radio-Jingle für die Single "Blue", wie viel eine Trennung ihr doch eröffnet hat, klarere Selbstwahrnehmung, Freiheit. Verständlich angesichts nerviger Überladung mit zu viel Nähe, die dann implodiert: "Ich träum von Kaffee / morgens ans Bett / doch werd 'n bisschen aggressiv/ wenn man mich weckt." Zwischen den Zeilen klingt immer wieder Allis eigenwilliger, süffisanter Humor an, der präzise wie chirurgisches Werkzeug den Alltag zerlegt. So ist es dann nur ein kleiner Schritt zum Weltschmerz.
Alli als Rebellin in einer Stadt, "so kahl und trist", legt in "Alien" los, will die Welt erst neu gestalten, nimmt stimmlich mit einer Talkbox Distanz, entkoppelt sich dann von irdischen Problemen: "Ich bin einfach abgehoben (...) so high, high, high" (zweideutig, wenn man ihre Anspielungen kennt, dass sie zurzeit wegen Cannabiskonsum keinen Führerschein hat). Am Ende von "Alien" bleibt die paranoide Flucht: "Sie werden mich nicht kriegen!" - Trotzdem kündet "Jede Nacht Zum Mond" vom Tanz mit dem Teufel.
Teils bezieht sich Allis Skepsis auf die digitale Welt. In "Bittersüßes Leben" stellt sie ihr Telefon "lieber offline", in "Berlin Nightlife" ausnahmsweise an, aber auch nur "auf Vibration". Beim kreativen Overflow des durchweg sprudelnden Albums glaubt man sofort, dass die Berlinerin viel Zeit mit sich alleine und mit ihrer Band und mit dem Ausfeilen ihrer Lied-Details, kleinen Kurven, Schliffen, Wortwitzen, Wah-Wah-Guitar-Takten, dem Klarwerden über Gefühle und Ironisieren derselben verbringt und mit dem Aufstöbern von Second Hand-Klamotten. Chatten, zocken, online shoppen, die virtuellen Oberflächen üben da wohl weitaus weniger Faszination aus. Sie ist zwar erst 26, hat aber von der Musikgeschichte einen Plan und profunde Kenntnisse querbeet durch diverse Genres von Chanson bis Indie.
Man hört, dass sie eine Vollblut-Entertainerin alter Schule ist, die sich auf ihr Metier und die Bühne verlässt, auf die Chance, die Lieder live zu performen und auf Fachkompetenz in ihrer Kunstform. Von daher wirken die zahlreichen Referenzen an eine frühere Ära wie organisch gewachsen, etwas Eigenes und stimmig zu ihrem eklektischen Vintage-Modestil, den sie in "Cool Kids" verteidigt: Eher macht Neumann einen respektvollen Knicks vor dem ebenfalls makabren Falco und vor Ideal, als dass sie nur zitieren würde. Ihr Album klingt filigraner, vielschichtiger als die Vorlagen der 80er. Trotz Anlehnung an Altes gelingt ihr etwas einzigartig Neues und Originelles, ein groovender Disco-Punk-Funk. Dessen Humor mag womöglich nur eine Minderheit witzig finden. "Ich bin nur ein Punk, weil ich gar keine bin", konstatiert die Künstlerin in "Cool Kids". Lifestyle-Linke leben ganz weit weg von ihr.
Ihre Waffe ist der Rückzug in eine ganz eigene Welt, eine, in der Musik kein Hetzen von einer zur nächsten Spotify-Freitagsliste war, sondern ein paar verfügbare Alben physisch und vollständig ein ganzes Jahr rotierten, als Intensität und Qualität noch Stellenwert besaßen. "Diese Welt ist grausam / aber sie zwingt dich nicht in die Knie (...) Aber, Mama, du hast mir gezeigt, wie man sie trotzdem liebt", resümiert Alli in "Lebenswerk". Wer, wie sie, eine Staffel "Sing meinen Song" übersteht, ohne auf Oerdings Schleimspuren auszurutschen, hat auf jeden Fall Persönlichkeit und eine angenehme Immunität gegen die Eitelkeiten des Showbiz. Die wahre "Primetime" ist also nicht dienstags um 20:15 Uhr, sondern immer, wenn man dieses Album auflegt.
6 Kommentare mit 7 Antworten
Niemals. Was ich bisher gehört hab, ist so deutsch und sauber und irgendwie affektiert, dass es weh tut. Also ok, doch, für deutschen Pop wahrscheinlich grandios.
Zu verkrampft bemüht, um auf irgendeine Weise cool zu sein. Jepp.
Noch egaler als Oerding
Ja, hebt sich immerhin vom üblichen Deutschpop-Wandtattoosprüche-Sums ab. Textlich ist Alli jetzt auch nicht die Ausnahmepoetin, aber sie hat zumindest eine interessante Stimme. Ihre Einfüsse sehe ich mehr bei Jan Delay, Bilderbuch und Selig als bei der NDW. Obwohl „Ich liebe mich“ leider verdammt nach Nena klingt und es in der Mitte des Albums in einfallslose Deutschrock-Sounds der späten 80er und frühen 90er abdriftet.
3,5 Sterne fürs Album, 0 Sterne für das grottenhässliche Cover
Ja stimmt das Cover vom Album ist nicht so gut aber dafür die Musik.
Finde das neue Album Primetime von Alli Neumann gelungen.
Gibt nicht so oft solche Deutsche Musik wie die von Alli Neumann.
...dafür gibt's ja umso öfters nicht Deutsche Musik wie die von Alli Neumann, Jeudi.
Darf man nicht seine eigene Meinung haben.
Klar, Jeudi. Was ließ dich denn jetzt daran zweifeln, dass Du das darfst? ????
Und um welches Album geht's hier überhaupt ???? Von wem ???? Und warum?!! aaaaah!!!
"Darf man nicht seine eigene Meinung haben."
Du darfst hier alles, Jeudi.
Puuuuh. An dieser Platte ist ganz viel gut und cool. Darüber legt sich dieses Getue, Zeitgeist einer Zeit, deren Geist mir irgendwie abgeht. Vielleicht bin ich zu alt. Aber das macht mir eine eigentlich ziemlich coole Platte kaputt.
Schade.