laut.de-Kritik

Neustart zwischen Philadelphia und dem Mississippi-Delta.

Review von

Ein Knackgeräusch und genussvolles Schlürfen gleich zu Anfang des fünften Albums von Alt-J. Die Energie sei endlich wieder zurück, so Sänger Joe Newman, der rückblickend die Zeit und die Tour um das letzte Album wie das Ende einer auserzählten Geschichte ansieht. Ganz falsch liegt er damit nicht, denn "Relaxer" klang in der Tat angestrengt und versprühte kaum noch den frechen Vibe des mittlerweile auch schon zehn Jahre alten Debüts. Der Druck, diesen Knalleffekt noch einmal zu wiederholen, lag schwer auf den letzten Alben. So gesehen erscheint das Coca-Cola-Commercial gleich zu Beginn des Albums wie eine verheißungsvolle Prophezeiung auf eine Wiederbelebung des verlorenen gegangenen Spirits.

Ihren Humor haben sie zum Glück nicht verloren, denn dem naiv-fröhlichen Intro folgt ein selbstironischer "I sold my soul"-Chor, schön übertrieben in seiner Dramatik. Die herrlich bescheuerte Geschichte über einen Jungen, der nach dem Koffeinschock über sich hinaus wächst und Pirouetten schlägt, ist einfach typisch britisch-exzentrisch. Der Song hingegen ist in seiner verspielten psychedelischen 70er-Prog-Struktur gar nicht mal so verrückt. Man riecht förmlich den Geruch fettiger Fritten, zu viel Teenager-Hormonen und Chlor-Schwimmbecken.

"U & Me" setzt diesem wirren Sommernachtstraum fort. Eine musikalische Beatles-Verbeugung mit all den Tabla-Instrumenten und gleichzeitig auch Verballhornung, wenn aus dem zynischen "Happiness Is Warm Gun" dann die Hot-Dog-Assoziation "Hapiness is Between Two Buns" wird. Irgendwie glaubt man den kalkbleichen Nerds auch nicht, dass ihnen der American Way Of Life so geheuer scheint, auch wenn er unüberhörbar eine Faszination ausübt. So wird "The Dream" zu einer kleinen Reise von einer Band, die in den Staaten zwischen Philadelphia und dem Mississippi-Delta ihr Glück sucht. Die Seele, so weiß man von anderen britischen Bands, verliert man dort drüben erstaunlich schnell. Fragen sie mal Chris Martin oder Mumford & Sons, die doch allzu schnell den Verlockungen von Stadien und oberflächlicher Kultur verfielen. So könnte aus dem Jungbrunnen von "Bane" doch noch ein böses Erwachen folgen, denn ausgerechnet in Amerika feiern Alt-J trotz oder wegen ihrer Exzentrik große Erfolge und können den riesigen Madison Square Garden in New York füllen.

Ein gefährliches Spiel, das meist in "Höher, Schneller, Weiter" endet, aber Alt-J scheinen das begriffen zu haben und spielen in "The Actor" das böse Erwachen auf der anderen Seite des großen amerikanischen Hollywood-Traums nach. Ein Schauspieler, der dem Kokain verfällt und wie in der bösen Satire "Bojack Horseman" drogeninduziert auf dem Grund des Swimming Pools endet. So harmlos und etwas seicht der Song klingt, die Kritik ist ätzend wie Säure.

Das Bluegrass-Traditional "Delta" ist ein aufreizend ideenloses Stück, das wie Imagine Dragons mit Musikhochschulabschluss klingt und gefühlt nur aus einem Refrain besteht. Gerade in diesen Momenten wird klar, dass Alt-J einfach keine besonders guten Songwriter sind. Überhaupt scheint dem Trio am Schluss die Spritzigkeit abhanden zu kommen, wenn das belanglose "Powders" ein durchwachsenes Album ausklingen lässt.

Die Inszenierung beherrscht diese smarte Band, die Qualität der Alben bleibt weiter hinter den großen Erwartungen zurück, auch wenn sie mit "The Dream" dieses Mal ein überraschend kohärentes Album veröffentlichen. Die Idee einer durchgehenden Storyline verliert nur ihren Reiz, wenn sie nicht genug Substanz besitzt.

Trackliste

  1. 1. Bane
  2. 2. U & Me
  3. 3. Hard Drive Gold
  4. 4. Happier When You’re Gone
  5. 5. The Actor
  6. 6. Get Better
  7. 7. Chicago
  8. 8. Philadelphia
  9. 9. Walk A Mile
  10. 10. Delta
  11. 11. Losing My Mind
  12. 12. Powders

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7 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 2 Jahren

    Meiner Meinung nach ein sehr schönes Album, zwar durchaus mit Schwächen, aber hätte doch eher vier Sterne erwartet. Der Autor geht mir persönlich zu wenig auf die einzelnen Songs ein. Drei Sterne finde ich wenig!

  • Vor 2 Jahren

    "Gerade in diesen Momenten wird klar, dass Alt-J einfach keine besonders guten Songwriter sind".
    Dieser Satz zeigt, dass der Autor sich kein Stück mit der Band auskennt. Songs wie "Pusher", "Hunger of the Pine" oder eben das aktuelle "Get Better" sind auf einem unfassbar hohen Niveau - musikalisch wie lyrisch. Diese Rezension ist, milde gesagt, einfach schlecht... Klar lässt sich über Geschmack gerne streiten. Die Band jedoch auf so einen Satz zu reduzieren ist einfach nicht angemessen, wenn man sich ein wenig mit Musik auskennt.
    4/5 Sterne - mindestens.

  • Vor 2 Jahren

    Wie vorher schon oft erwähnt auch für mich mindestens eine 4/5.
    Als jemand der Alt-J bis jetzt zu poppig und oft "laut um des lautseinwollens" fand, halte ich dieses Album überraschenderweise für großartig. Die liebevollen Intros in die Lieder... Der Barbershop-Satz in Walk A Mile z.B. das ist großes Kino, auch wenn das Lied danach eher okay ist. Ich finde es bezeichnend, dass die Rezension nur die schwächeren Lieder anspricht. Kein Get Better, kein Philadelphia. Insgesamt weiß das Album immer wieder zu überraschen und mich als übersättigten Spotify-Junkie interessiert zu halten.