laut.de-Kritik
Als hätte sie jede Note aus dem Dreck der Serie geformt.
Review von Sven KabelitzIm Netflix-Hit "Peaky Blinders" sind die Straßen von Birmingham dreckig und matschig. Anna Calvis Soundtrack zur fünften und sechsten Staffel klingt, als wäre er in diesem Schmutz geboren. Als hätte sie jede Note aus diesem Dreck geformt. Viel besser als hier kann man die Seele dieses Dramas nicht einfangen.
Neigte sie auf "Hunter" noch dazu, ihre Musik deutlich zu clean klingen zu lassen, folgt nun die rohe Version. In auf ein Minimum reduzierten Stücken zanken sich Gitarre, Klavier, Geige und Schlagzeug. Allesamt von Calvi selbst eingespielt. Dabei bleiben die meisten Tracks den Umständen entsprechend instrumental und zurückhaltend. Obwohl es keinen direkten Zusammenhang in Songstruktur und Sound gibt, erinnert die Grundstimmung zeitweise an Neil Youngs "Dead Man"-Longplayer.
Sonnenlicht sucht man in dieser düsteren Umsetzung der bereits 2022 geendeten Geschichte der Familie Shelby vergebens. Dabei stellte es sich als die größte Herausforderung für Calvi heraus, nicht aus ihrer eigenen, sondern aus Tommy Shelbys Perspektive zu schreiben. "Das war eine neue Sache für mich, aber es passte wirklich gut", erklärt sie. "Ich liebe alles an der Show. Ich bin völlig in sie eingetaucht und war ziemlich besessen von den Charakteren, besonders von Tommy Shelby. Ich verlor mich regelrecht in seinem Kopf."
Um den Score der sechsten Staffel von dem der fünften abzugrenzen, arbeitete sie wieder mit dem "Hunter"-Produzenten Nick Launay zusammen. Dies führte zu einer etwas offeneren Atmosphäre. Ansonsten stellt er sich ihr glücklicherweise nicht großartig in den Weg. Naturgemäß stechen die Lieder mit Gesang heraus. Für ihre eigene Fassung von Nick Caves seit der ersten Folge als Titelsong fungierenden "Red Right Hand" findet sie geschickt eine Möglichkeit, das Original einzufangen und dennoch einen eigenen Weg zu gehen. Das schleppende "You're Not God" leitet sie mit einem schrillen Konflikt aus Gitarre und Stimme ein. Die Lyrics bleiben bei einem simplen "Out Of My Mind / Burn" beziehungsweise "I burn".
Wenn die Texte ganz wegfallen, bleibt in "I Don't Like The Life" ein zu Klavier vorgetragenes Wehklagen. Aus diesem formt sich später "We Don't Like The Life". In "Do What The Voices Tell You" bleibt nur noch ein Atmen von Calvi. "There Ain't No Grave" führt Stufe für Stufe hinab zu den dunkelsten Momenten des Soundtracks. "Ain't No Grave" antwortet darauf rockig, konstruiert und fast ausgelassen. Nebeneinander gestellt verdeutlichen diese beiden Tracks den Unterschied zwischen den beiden Scores.
Der gelungenen Atmosphäre von "Peaky Blinders Season 5 & 6" stehen letztlich jedoch die 37 Stücke entgegen, die nach einer Weile eine gewisse Eintönigkeit entwickeln. Zwar liefert Anna Calvi mit den beiden im Pack veröffentlichten Alben ein in sich geschlossenes Werk ab, das aber alleine aufgrund der Menge zu einem herausfordernden Brocken mutiert. Eine Reduktion hätte hier vielleicht nicht nur bei den Arrangements, sondern auch bei der Songanzahl gut getan. Zudem sticht "Red Right Hand" so deutlich heraus, dass dieser Vergleich mit ihren guten Kompositionen doch zeigt, das es diesen am letzten Kniff fehlt. In die Düsternis der beiden Longplayer lässt es sich bei gefestigter Laune dennoch gut eintauchen.
1 Kommentar
Frauen, die ich sogar noch ein kleines bisschen lieber singen als reden höre, und die dann von beidem zu wenig auf einem ihrer Tonträger tun. Erzähl mir diese Geschichte noch einmal in deinen Worten, bitte...
Weniger als 3/5 bringe ich dann aber auch nicht übers Herz.