laut.de-Kritik
Die Schotten feiern zwei Stunden lang alles ab.
Review von Olaf SchmidtBei Anthrax läuft in den letzten Jahren alles nach Plan. Die Rückkehr von Joey Belladonna rückte die Band wieder in den Fokus von Fans und Presse, anschließend bewiesen zwei starke Alben, dass sich das Thrash-Urgestein von der Ostküste nicht auf altem Material ausruhen möchte. Anlässlich des 30jährigen Jubiläums des Klassiker-Albums "Among The Living" begaben sich die New Yorker 2017 auf eine Tour, um die gesamte Platte am Stück zu spielen und machten dabei unter anderem im ausverkauften Barrowland Ballroom zu Glasgow Halt.
Der Klassiker "A.I.R." eröffnet das über zwei Stunden lange Konzert. Mit "Madhouse" folgt ein weiterer Hit direkt auf dem Fuß, das Publikum drückt den Refrain nach vorne. Der Auftritt unterteilt sich in zwei Sets, in der ersten gibt es ein hübsches Potpourri aus von Fans gewählten Lieblings-Songs (allesamt aus der Belladonna-Ära), drei Stücken vom noch aktuellen Langspieler "For All Kings" und einer Nummer von "Worship Music". Die schottischen Zuschauer feiern hier schon alles ab, doch natürlich warten alle auf die zweite Hälfte der Show.
Und die taugt. "Among The Living" besteht ausschließlich aus unkaputtbaren Knallern, die auch beim dreihundertsten Hören noch mitreißen. Die Zeile "talking to you is like clapping with one hand" aus "Caught In A Mosh" beispielsweise amüsiert mich jedes Mal wieder. Im Vergleich zum ersten Set wirken Anthrax etwas lebendiger, was nicht heißen soll, dass der Auftritt bis dahin statisch gewesen wäre. Ein neuer Bühnenaufbau ermöglicht allerdings auch mehr Bewegungsfreiheit als zuvor. Joey Belladonna streift sich zwischenzeitlich eine Mütze über und sieht aus wie Alice Cooper in "Die Fürsten der Dunkelheit".
Kommen wir zum Drumherum: Anthrax spielen ein sehr gutes Konzert und begehen nicht den Fehler, den Mitschnitt hinterher zu Tode zu bearbeiten, wie viele ihrer Kollegen. Im Gegensatz zu anderen Live-DVDs kommt nie der Eindruck auf, hier sei großartig am Sound rumgeschraubt worden. Die Band präsentiert sich gut aufgelegt und in Spiellaune. Belladonna erweckt anfangs den Eindruck, als habe er vor der Show noch eben drei Pfund Selbstbräuner in die Visage einmassiert. Dafür treibt er allerhand unterhaltsamen Spökes mit dem Publikum und liefert eine erstklassige Gesangsleistung ab. Für Sound und Performance also Daumen hoch.
Zur Causa Bildregie lautet das Verdikt allerdings: ausbaufähig. Lobend sei erwähnt, dass sich hier kein Regisseur an einem Musikvideo mit ein bisschen Live-Bild versucht hat und tausend Stilistiken ausprobiert. Aber die Schnitte geraten mir noch zu hektisch und die Kamera irrlichtert manchmal herum, ohne die spannenden musikalischen Stellen zu finden. Hätte es beispielsweise so weh getan, mal ein komplettes Solo lang bei Gitarrist Jonathan Donais zu verweilen oder einen von Frank Bellos spannenden Bass-Parts unter die Lupe zu nehmen? Etwas störend fällt zudem das Product Placement auf. Die Dosen eines bekannten Energydrink-Herstellers stehen prominent auf der Bühne herum, Charlie Benantes Schlagzeug-Ausstatter hat sicher auch ein paar Dollar springen lassen.
Ein paar schöne Extras spendieren Anthrax auf der zweiten DVD. Die 35-minütige Tour-Dokumentation bietet launische Einblicke in den Band-Alltag unterwegs und amüsiert mit einigen guten Lachern. Die sympathischen Ostküstler vermitteln dabei den Eindruck, eine zufriedene und in sich ruhende Band zu sein. Und wer hätte gedacht, dass man in Thrasher-Kreisen vor dem Auftritt erstmal Supertramp-Songs hört? Als zweites Extra kann sich der interessierte Zuschauer ein wenig Geplauder über das technische Equipment der Band zu Gemüte führen. Alles in allem eine solide Sache.
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