laut.de-Kritik

Noch 1 Glas geweihtes Abwasser für die Kyngz auf dem Thron.

Review von

Irgendwas geht da mächtig schief. Oder läuft genau richtig. Gerade wollen sie noch, dass Deutschrap stirbt, damit sie leben können, und nur ein Jahr später geht es schon wieder um Sprüche. "Abwasser" nennt sich die neue Kerbe im Sperrmüll-Chefsessel der Antilopen Gang. Das sogenannte Mixtape gießt mächtig Benzin ins Feuer. Da soll mal einer die Gang peilen, Subversion durch Affirmation läuft so aber nicht! Deutschrap lebt weiter, wenn sie mit noch mehr grenzgenialen Tracks ihren Fame pushen. Wie auch immer: Ich hab es verstanden.

Da dachte man, mit dem Signing bei JKP sei die glorreiche Ära der kostenlosen Antilopen-Downloads beendet. Plötzlich stehen mit "Abwasser" zwölf neue Songs für umme auf ihrer Website. Ein Jahr ist seit "Aversion" vorbei, Günther Grass schreibt nie wieder ein Gedicht, sondern spielt Schach mit Hitler, die Mustermänner lassen Flüchtlingsheime lodern und die Gang forderte mal eben in der Tagesschau die Abschaffung der Bundesrepublik. In den neuen Tracks bedienen sich die Antilopen am klassischen Handwerkszeug des Rap: Dissen, sampeln und Kritik an der Gesellschaft und sich selbst. NMZS ist noch immer präsent und betrauert, 1 süßer Bash an Max Herre ("Immer wenn es regnet, denk ich an Max Herre") und K.I.Z. ("Dafür haben wir wenigstens keinen Pimmel im Logo") und 1 Klaps auf den Po für die Chicks On Speed bzw. Malaria! ("Kaltes, klares Abwasser"). "Neoliberale Subkultur" ist eine Antwort auf den gleich überschriebenen Artikel eines Musikmagazins, das der Gang Nachplappern antideutscher Parolen zum Vorwurf machte.

Auf das "Mimimiii" folgt nun der Track, der besorgten Ottos mit stark limitierter Intelligenz und verkümmertem Empathievermögen mittels eines musikalischen Backsteins die zehn Gebote der Demut ins Gesicht massiert. Mit Witz und Sarkasmus spannen sie ein Drahtseil zwischen Widerspruch und Haltung und verbinden beide in undurchsichtigen Chiffren. Danger Dan, Koljah und Panik Panzer stilisieren sich zu den Chef-Rappern oder zu peinlichen Versagern – so wie es gerade ins Game passt.

Den Widerspruch lösen sie zwar stets mit Ironie, die Losernummer haben die drei aber wirklich nicht nötig, zumal es angesichts ihres Könnens, der Fanbase und Beliebtheit irgendwann nicht mehr authentisch ist. Das selbstreferenzielle Suhlen im Goldmatsch zwischen Sumpf und Thron bleibt unterhaltsam und irgendwie ihr Markenzeichen. Das wars aber auch schon mit der holprig aus den Fingern gesogenen Kritik. Das hier ist ein Lobgesang, schließlich haben die Kyngz ihre Eier am richtigen Fleck.

"Abwasser" beschreibt die ekelhaftesten Kapriolen des Zeitgeistes ("Mach Mit" und "Neoliberale Subkultur") genau so wie das Gefühl des balsamverklebten Egos durch volle Konzerthallen als Kontrast zur anhaltenden Trauer ob des Verlustes ihres Freundes NMZS ("Stimmen Aus Dem Sumpf"). Zwischendrin glänzen noch die absurd verballerten Rauschhymnen "Chocomel Und Vla" und "Alkilopen". Weniger angepunkt als "Aversion" und mit weniger Popappeal zielt "Abwasser" auf eine feierliche Ähnlichkeit zum frühen "Spastik Desaster". Abwechslungsreiche 55 Minuten mit Tiefgang, pointierten Punchlines und derben Beats lassen "Aversion" wie einen Promomove für "Abwasser" erscheinen. Wäre da nicht dieses Free-Download-versus-bezahlte-Musik-Ding. Nur ein Niemand peilt die Gang.

Trackliste

  1. 1. Die Kyngz Sind Back!!!
  2. 2. Abwasser
  3. 3. Leben Eines Rappers
  4. 4. Lügenpresse 1
  5. 5. Neoliberale Subkultur
  6. 6. Molotowcocktails Auf Die Bibliotheken
  7. 7. Stimmen Aus Dem Sumpf
  8. 8. Insolvenzverwalter
  9. 9. Stück Dreck
  10. 10. Lügenpresse 2
  11. 11. Wir Sind Es
  12. 12. Chocomel Und Vla
  13. 13. Mach Mit
  14. 14. Alkilopen

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12 Kommentare mit 22 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Durchaus nicht unberechtigt, vlt ehr 4 als 5, aber das Tape hats schon in sich!

  • Vor 9 Jahren

    Die Wertung ist schon durchaus gerechtfertigt, aaaaber, wann wird denn mal darauf eingegangen welches Klangbild die Antilopen auf dem Mixtape abliefern? Hier werden vor allem Textinhalte, Selbstverständnis und sozialkritische Positionierung der Gang abgehandelt, aber da geht irgendwo die Auseinandersetzung mit der Musik verloren. Und da hätte man Einiges zu sagen können, weil die Antilopen hier, wie auch schon auf Aversion mit allerlei ganz bewussten Genre-Ausflügen bestechen, ohne dabei jemals nicht wie die Antilopengang zu klingen. Soulige G-Funk Anleihen links und rechts (Wir sind es, Chocomel und Vla), provokative Autotune Hooks (Abwasser), Spagate zwischen astreinem Boombap (Molotowcocktails auf die Bibliotheken), eingängigen Pop-Nummern (Leben eines Rappers) und ihrer schon seit Aversion bekannten Liebe zum Punk (Alkilopen), alles ohne jemals so zu klingen, als würden sie nicht wissen was sie tun. Ich finde wenn man schon eine Vollwertung raushaut sollte man auch auf alle Facetten des Werkes eingehen.

  • Vor 9 Jahren

    5/5 aber nicht mal in den jahres top25, obwohl ähnlicher schalmeienquark wie die orsons und co
    so nachhaltig wars dann wohl doch nicht ;)

    • Vor 9 Jahren

      Das passiert wohl, wenn man sich untereinander nicht abspricht über einen geltenden Konzens :D
      Aber das Orsons Album hat auch mindestens genauso viele Vollwertungen verdient, wenn auch aus komplett anderen Gründen, Mr. System Shock 2 :P