laut.de-Kritik
Die R'n'B-Musterschülerin versteckt sich hinter Konventionen.
Review von Yannik GölzEs muss ja auch ab und zu etwas für die Traditionalisten geben. Das neue Album von der Dreamville-Croonerin Ari Lennox suhlt sich nostalgisch in einer Soundkulisse der frühen 2000er und lässt R'n'B und Soul mit einer Liebe zum Detail wie die Definition des Genres klingen, dass es fast unheimlich wird. Ihr Andocken an den Destiny's Childs, Mary J. Bliges und D'Angelos passiert auf Einserschüler-Niveau. "Age / Sex / Location" ist ein umwerfend klingendes Album, das trotzdem nicht ganz erklärt, wofür seine Protagonistin nun eigentlich steht.
Aber nicht jedes Album muss das Rad neu erfinden, vor allem, wenn es dermaßen gut klingt. Der Opener "POF" - kurz für "plenty of fish" - nimmt sich Regentag-Pianos und BoomBap-Percussion von unter anderem Labelchef J. Cole und etabliert die Themen des Albums: "'Destined for greatness' is always what my mama said / Young Black woman approachin' thirty with no lover in my bed" singt sie, bevor sie spezifiziert: "What's that they say back in the day? / 'It's plenty of fish in the sea' / Will somebody explain what's with these lame fish that be swimmin' to me?".
Eines der sich durchziehenden Motive ist Aris Hin und Her zwischen unterwältigenden Männern, die ihr Tag für Tag über den Weg laufen, und Erinnerungen an jüngere Tage, als die Welt noch interessanter oder man selbst zumindest leichter zu beeindrucken war. So wechseln sich Songs über die Liebe mit Songs über Enttäuschung ab, während ihr Mindstate zwischen Jetzt und Vergangenheit hin und her pendelt.
Dabei umreißt sie zum Beispiel auf "Hoodie" mit solider Treffsicherheit die kleinen Sehnsüchte nach einer Beziehung. Die Fantasie, einen Partner zu finden, an dessen Kleiderschrank man sich an faulen Tagen bedienen kann, gibt ein schönes Detail, auch hier klingt der Song nach Pläne sausen lassen, um zusammen in der Bude zu hocken. Ein gemütliches Stück Pärchen-R'n'B. Dagegen stehen unsubtilere Horny-Jams wie die Chloe-Kollabo "Leak It", die zwar nicht unbedingt explizit daherkommt, aber trotzdem nicht wahnsinnig viel der Fantasie überlässt. Manchmal hat man das Gefühl, dass Lennox ein gutes Ohr für Details beweist, ab und zu macht sie aber auch nur typische R'n'B-Songs mit typischen R'n'B-Themen, R'n'B-typisch formuliert.
Das zeigt sich schön im Closer "Queen Space" mit Summer Walker, ein Song über Selbst-Ermächtigung, der nicht so richtig über die Twitter-Plattitüden hinaus kommt, genauso wie die feministisch-body-positive Nummer "Outside" nett gemeint und inhaltlich wichtig ist, aber man trotz allen guten Intentionen doch merkt, dass man diese Aussagen alle so schon einmal gehört hat. Lennox ist eh viel besser, wenn sie dahin textet, wo es wehtut: Auf "Boy Bye" geht sie hin und her mit Lucky Daye und spielt fast dialogisch ihre Ambivalenz zu diesem Typen aus. Es entstehen so viele Momente von Chemie oder fehlender Chemie, dass am Ende dieses smoothen Songs trotzdem zwei Personen deutlich charakterisiert wurden. Auch die Lead-Single und ihr bis dato größter Hit "Pressure" zeigen, was Songwriting und klarere Klangentscheidungen für sie tun können - ihr Tribut an Donna Summer und Diana Ross zeigt sie entscheidungsfreudig und spezifisch.
Und diese Fähigkeit zum Spezifischen ist das Potential, auf das sie am meisten aufbauen sollte. Natürlich klingt das alles super, aber technisch gute Throwback-Artists kommen und gehen immer wieder. Und auch im Vergleich zu denen gehört sie zwar stimmlich zu den besseren, scheint sich aber trotzdem ein wenig hinter ihrem Talent zu verstecken. Dabei zeigt sie immer wieder, wie klug und scharfsinnig sie auf Songs arbeiten kann. Warum dann trotzdem immer wieder diese Plattitüden und diese anonymeren Songkonzepte? Ja, "Age / Sex / Location" klingt zeitlos und einwandfrei, aber wer sich mit so nostalgischem Sound gegen die Zeit stemmen will, muss mit den großen Meistern mithalten können. Und dafür fehlt Lennox musikalisch der letzte Biss, der Mut zu dem ein oder anderen musikalisch überraschenden Moment. Was bleibt, ist eine warme, nostalgische R'n'B-Platte, die Traditionalisten definitiv abholen wird, dem Genre im großen Ganzen dann aber doch noch zu wenig hinzufügt.
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