laut.de-Kritik
Lyricism-Manifest aus NYC: nüchtern, unprätentiös, bildgewaltig.
Review von Yannik Gölz"Alchemist hat alles gewonnen", schwärmt Billy Woods in einem GQ-Interview, "der steht in der Szene wie Marlon Brando im Blumengarten". Er hat kein bisschen Unrecht. The Alchemist ist momentan vielleicht der unfehlbarste Produzent der Welt. Man weiß, was man bekommt, wenn sein Name draufsteht – und wird trotzdem jedes Mal überrascht. Zum Beispiel hier. Da arbeitet er in voller Länge mit dem New Yorker-Untergrund-Duo Armand Hammer - und fördert ein Juwel zutage. Das Duo Billy Woods und Elucid macht auf dieser Platte aus Trauma-Therapie eine David Lynch-Kurzfilmreihe.
Dadurch kommt inhaltlich, atmosphärisch und musikalisch zusammen, was zusammengehört: Die Soundpalette auf "Haram" ist Film Noir, genau an der Türschwelle zwischen Lounge-Hinterzimmer und Seitenstraße, der der Punkt, an dem Zigarrenrauch und Graswolke, Heizungsluft und Winterregen aufeinandertreffen. Die Beats brauchen kaum Drums und konkrete Textur, sie arbeiten viel mehr mit Schlüsselreizen, mal wehen ein paar Takte nostalgische Soul-Samples durch die Songs, bevor sich sperrige Pianos und Soundeffekte ineinanderschieben. Der Alchemist hat ein goldenes Ohr dafür, Sound-Schnipsel zu minimalen Grooves mit maximaler Assoziationskraft zu verweben. Die E-Orgel auf "Roaches Don't Fly", das treibende Saxophon auf "Scaffolds"; alle Soundlandschaften ziehen an den Rappern vorbei wie Standlandschaften, anonym und wohlvertraut gleichermaßen.
Und wenn Billy Woods und Elucid dann schnaubend durch das verschneite New York stapfen, verdienen sie sich ein unerklärtes "You know the vibes". Besonders Billy spielt perfekt mit den verstrahlten Alchemist-Beats. Er gehört zu den besten Storytellern, die der Untergrund zu bieten hat, macht das aber weniger durch große Handlungsbögen und mehr durch perfekt aufgesetzte Szenenbilder. Prosaisch sammelt er Eindrücke und Wortfelder, die in einschlägige, kalte Unterstadt-Welten transportieren. "It's ill, but you're like krill in that cold deep / Alcohol seep out the pores like gills / Air squeeze out the ocean floor / Leviathan swim with open jaw" rappt er auf dem Opener "Sir Benni Miles".
Seine große Stärke findet sich in der Abbildung von Eindrücken, ganz besonders von Gerüchen, die immer wieder auftauchen. Penne Alla Vodka aus dem Nobelrestaurant stehen gegen den Gasgestank eines Rasenmähers für einen der vielen toten Jobs, um sich über die Runden zu bringen. Irgendwo brät jemand nach der Schicht Kurkuma und Koriander an, irgendwo wird ein Blunt angezündet. Und dann rundet er es mit diesen viel zu scharfen One-Linern ab: "Always late with the epiphanies / Like 'Might could've handled that differently'" oder "the transcript read like Cam'ron skits / Something wrong with motherfuckers, don't know what it is/".
Elucid dagegen klingt auf den ersten Blick weniger beeindruckend, seine Zeilen sind simpler, weniger vielschichtig, öfter als Billys feinfühliges Worldbuilding verheddert er sich manchmal in Lyrical-Spritual-Miracle-Gefledder. Aber je öfter man Armand Hammer hört, desto mehr erschließt er sich doch als notwendiger Gegenspieler zu Billys verkopftem Erzählcharakter. Er ist der Protagonist in der Szene, betroffen und distanzlos, der von Billys Gemurmel beschworen wird. Wenn der auf "Indian Summer" nüchtern und kalt das Setting einer Beerdigung beschreibt, dann entert Elucid darauf den Song wie die personifizierte Trauer und Ohnmacht, die den Menschen bleibt.
Nirgends zeigt sich diese Dualität besser als auf dem Schlusstrack "Stonefruit", dem besten Song der Platte - und Elucids bestem Beitrag. Erst konstatiert er "chaos dissolves, distills what's true" und wälzt sich dann in eine wehmütige Hook (eine der wenigen der Platte), auf der er immer wieder nur "I don't wanna lose controle" in den Äther spricht. Vielleicht ist das das Kernthema dieses surrealen Noir-Films, die Balance zwischen Kontrolle und Chaos, die sich irgendwo natürlich in den Szenen von Armand Hammer einstellt, die der Alchemist virtuos zwischen seinen Abertausenden Soundquellen herstellt.
"Haram" ist ein endlos einschlägiges Manifest für modernen Lyricism aus New York – und auf eine nüchterne, unprätentiöse Weise bildgewaltig.
3 Kommentare mit einer Antwort
Gute Review, top Albung!
Muss ich mir mal geben. Alchemist haut zurzeit mindestens ein Projekt pro Monat raus, da verliere ich langsam die Übersicht
So einheitsbreiig klingen die Beats aber leider auch mittlerweile...
Das ist so ein Album, dass ich gern lieber mögen würde als ich es dann tatsächlich tue. Irgendwie rauscht dieser nicht-drumgetriebene Sound an mir vorbei und die beiden rappen wahrscheinlich super, aber dann doch nicht prägnant genug, um mich zu fesseln. Schade eigentlich. Hätte gern mal wieder ein gutes (Ami-)Rap Album auf den Ohren,