laut.de-Kritik
Der Fluch der markanten Silhouette.
Review von Yannik GölzMan könnte Ashnikko einen schwarzen Gürtel im TikTok-Appeal verleihen. Die in London arbeitende Rapperin geht auf der Plattform mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks viral und hält dort locker mit den ganz großen Artists mit. Nach mehreren durchschlagenden Hits und einer EP erklärt ihr Debüt-Mixtape "Demidevil" nun auch, wie sie das macht: Sie bombt jede Faser ihrer Musik mit Sassiness, Charakter und Attitüde voll und ist neben ihrer überlebensgroßen Persönlichkeit auch eine geölte Hook-Maschine. So sehr sie also in ihrer knallbunten Cartoon-Welt durch Genres und Referenzen taumelt, zeigt "Demidevil" aber auch klar ihre Limitierungen als Songwriter und Figur auf.
Was macht einen guten Ashnikko-Song denn gut? Zumeist ist es ihre Fähigkeit, eine sofort einleuchtende Persona effektiv in Sound und Ästhetik zu übersetzen. Natürlich wird man das Bild ihrer Person nicht los, wenn man sie einmal gesehen hat, seien es die knallblauen Hatsune-Miku-Haare oder die Lolita-meets-Mad-Max-Klamotte. Aber man muss die extravagante Mode gar nicht sehen, sie beschwört die Bilder mit Performance und Stimmeinsatz mühelos auch auditiv herauf.
Der Opener "Daisy" zum Beispiel ist ein absurdistischer Trap-Banger, der sich kaum damit aufhält, Verses zu schreiben, sondern nur von einem griffigen Flow in den nächsten stolpert, keine Sektion länger als 30 Sekunden klingen lässt und mit immer weiter aufbrausendem Stimmeinsatz das Instrumental in den Hyperpop dekonstruiert. Zweieinhalb Minuten ohne eine Millisekunde Längeerscheinung, dafür aber mit gefühlten fünf verschiedenen Refrains. Was man an Lyrics aufgreift, sticht sofort: "I'm crazy, but you like that", wimmert sie in ironischer Geste, jeder One-Liner steht für sich und greift sofort einen Kanon an einfach eingeordneten Bildern auf. Kurz gesagt: Ashnikko zielt präzise aufs Eidechsengehirn, und selbst die eigene Großmutter würde sofort raffen, was ihr Deal ist, ohne irgendeine der Referenzen zu verstehen.
Das macht "Demidevil" in seinen besten Momenten wahnsinnig effektiv. Dem Hörer wird gar nicht erst zugemutet, sich in irgendetwas hineindenken oder einlassen zu müssen. In einer halben Minute wird sowieso eine neue Idee einschlagen. Highlights setzen Kollaborationen wie der Flirt mit Princess Nokia auf der queeren Horny-Jam "Slumber Party" oder "Cry", wo Ashnikko zusammen mit Grimes ihre beste Evanescence-Gedenktafel aufstellt. Jeder Chorus klickt sofort, die Songs klingen in ihrer Zusammenstellung und Produktion einzigartig. Gerade bei "Cry" entfernt Ashnikko sich soweit vom Hip Hop und sogar vom Pop, dass es ein Testament auf die Stärke ihrer eigenen Logik ist, dass sich die Nummer auf der Platte kein bisschen deplatziert anfühlt.
Leider tun die Features ihr im Laufe von "Demidevil" spürbar gut. Gerade die Deep Cuts dieses Projekts zeigen, wie schwer es ihr fällt, einen Song mit mehr als einer Strophe oder mehr als drei Minuten Laufzeit zu schreiben. Nummern wie "Drunk With My Friends", "Little Boy" oder "Toxic" zehren sehr vom Gimmick, spielen dieselben Noten ihrer Person, ohne ihr irgendeine Tiefe hinzuzufügen. Genauso, wie sie sich musikalisch ganz nach der Logik einer Tumblr-Timeline Elemente aus Doja Cat, Avril Lavigne und Britney Spears aneinanderreiht, hält sie sich textlich in derselben Klientel.
Ein bisschen fühlt sie sich da an wie die Lizzo für die edgy E-Boys und E-Girls der Welt. Nicht nur, weil sie mit der das Syndrom teilt, dass man jede clevere Textzeile gefühlt so oder so ähnlich im Vorjahr schon einmal im Meme-Format über die Timeline hat flimmern sehen, sondern auch deshalb, dass eine tiefere Entwicklung der dargebotenen Figur für simpel verständliche Bildsprache, Relatability und Yasss-Bait aus dem Fenster geworfen hat. Es sind Lyrics wie: "I don't need a man, I need a puppy", "I drew a dick on all your sweatshirts", "She's not a therapist, don't wanna take care of him / She's an independent girl" oder "Cisgender heterosexual men, I'm bored of your fumbling hands", die jenseits von Opas Facebook schon so lange in die ewigen Jagdgründe der Ex-Schenkelklopfer eingegangen sind. Ihre Perspektive, ihre Beobachtung sind so basic, so universell, sie arbeitet sich Song für Song mit denselben Begriffen an denselben Strohmännern ab, die auf Twitter oder Tumblr den längsten Teil des letzten Jahrzehnts schon so im Kreuzfeuer standen.
Deswegen zerfällt "Demidevil" letzten Endes, und man sieht es nirgends besser als bei den zwei Tracks gegen Ende des Albums: "Clitoris! The Musical" und "L8r Boi". Nicht nur sind die Ideen beider Songs unoriginell, es sind im Grunde zwei Memes oder YouTube-Shitposts, die man ohne näheren Plan ins Musikmedium übernommen hat. Nach all den Versprechen Ashnikkos, cool und fashionista zu sein, muss man über derartig plumpes Bubble-Pleasing schon etwas die Augen verdrehen.
Es fühlt sich komisch an, ein so extravagantes Projekt schlussendlich mutlos zu nennen. Aber die Persona Ashnikko scheint in ihrer Überlebensgröße ihre Künstlerin gefressen zu haben. So sehr manche Hooks hier funktionieren mögen und so faszinierend die Genre-Verschmelzung musikalisch auch erscheinen mag, erzählt doch kaum ein Song dem Hörer irgendetwas, das er nicht genau so von ihr erwartet hätte. Statt einer Entwicklung hat Ashnikko Tracks nachgeliefert, die perfekt in ihre bisher abgesteckte Silhouette passen, aber auch nicht darüber hinaus reichen. Vielleicht ist das gerade der Fluch einer zu markanten Silhouette.
8 Kommentare mit 2 Antworten
Textlich ganz furchtbar, klingt nach genau solchen Texten die auf TikTok gut ankommen. Musikalisch zu wenig Abwechslung, zu viel Trap und bis auf 'Slumber Party' keine wirklichen Standouts. Das letzte Drittel ist ganz harter Schlonz, alles in allem ziemlich schwaches Outing in meinen Augen fürs Debüt.
"Eidechsengehirn"
Fingernägel und Pose stehen im Vordergrund. Kann auf TikTok bleiben.
Interessant auf jeden Fall, aber leider textlich zu flach und von der Provokation her zu kalkuliert irgendwie. Wirkt auf mich so, als ob sie nach Feierabend die Perücke abnimmt und dann brav an Essays und Hausarbeiten für ihr Kunststudium weiterschreibt. Nichts für ungut, die Ästhetik sitzt und sie hat Wiedererkennungswert, aber die Musik ist mehr Pose als Substanz.
Interessant aber irgendwie zu gewollt & konstruiert. Da scheint mehr Konzept als Authentizität durch. Und das Konzept ist auch schnell zu Ende erzählt auf dem Album.
Ich verstehe immernoch nicht, nach mehreren angespielten Songs, was hier ansatzweise spannend sein und sich vom Einheitsbrei zwischen Mileypüppchen und Trap abheben soll.
Nichts, tatsächlich.
Eine Lanze zu brechen wäre tatsächlich für ihr aufgedrehtes Charisma und ihren Humor, den viele ihrer E-Girl-Kolleginnen einfach nicht haben. Die Musik hingegen bleibt tatsächlich generisch, weswegen ich befürchte, dass sie tatsächlich früher oder später durch die Decke geht und uns mit belangloser Musik versorgt, ähnlich wie Ariana Grande es tut.