laut.de-Kritik
Emotionale Implosion in Wort und Klang.
Review von Mirco LeierAshanti Mutina verspürt einen Hass auf die Welt, wie ihn nur wenige von uns jemals nachempfinden können. Als schwarze Transfrau, die in einem christlichen Umfeld aufwuchs, trägt sie nicht nur eine, sondern gleich zwei Scheunentor-große Zielscheiben auf ihrem Rücken, die in ihrer Wahlheimat Kanada unter Dauerbeschuss stehen. Die durchschnittliche Lebenserwartung einer schwarzen Transfrau in Amerika liegt bei 35 Jahren. Das ist schockierend, das macht traurig, das macht wütend. Aber erneut: So viel Unterstützung und Sympathie man auch aufbringen mag, am Ende des Tages nehmen die meisten von uns den Schmerz dieser Community nicht mit nach Hause, Mutina schon. Unter dem Künsterlinnennamen Backxwash schreit sie ihn deshalb seit einigen Jahren in die Welt hinaus. Und auf ihrem Debüt "I Lie Here Buried With My Rings And My Dresses" holt sie dafür das Megafon raus, damit es auch die in der allerletzten Reihe verstehen.
In zehn markerschütternden Industrial Rap-Hybriden blutet die Rapperin ihre gemarterte Seele aufs Papier und fegt mit der Macht aller vier apokalyptischen Reiter über die amerikanische Hip Hop-Landschaft hinweg. "The purpose of pain is to get your attention that something is wrong", erklärt uns der Opener. Und nur kurz nachdem das Spoken Word-Sample in sich selbst zusammenfällt, beschwört Mutani mit dem "Wail Of The Banshee" diesen Schmerz herauf, der uns mit der Intensität eines Bulldozers klarmacht, was genau denn nicht stimmt. "How I can't handle how I'm feeling / Try to jump, but I always land by hanging from a ceiling", rappt sie da, während im Hintergrund das titelgebende Jammern mehr und mehr einer höllischen Collage aus Schreien gleichkommt. Viel eindrucksvoller kann man die Höllenpforten zur eigenen Seele nicht aufstoßen.
Fast alles auf ihrem Debüt ist von Backxwash selbst produziert. Die wenigen instrumentalen Gastbeiträge stammen unter anderem von Clipping. und Code Orange. Entsprechend metallisch, düster, dämonisch und endzeitlich klingt "I Lie Here Buried ...". Wie schon auf ihrer letzten EP "God Has Nothing To Do With This, Leave Him Out Of It" bedient sich Mutina einer okkulten Sound-Ästhetik, die in ihren potentesten Momenten so klingt, als orchestriere sie einen Kult, der die Welt musikalisch ins Verderben stürzt. Bemerkenswert dabei ist, wie sie dieser Ästhetik Track für Track neue Aspekte abgewinnt, und diese Aspekte innerhalb eines Instrumentals weiter ausdefiniert.
Ihr Gespür für kreative Samples und Beat-Textur allein machen dieses Album aus Produzent*innensicht mehr als hörenswert. Auf "666 in Luxaxa" samplet sie über fast die gesamte Laufzeit den markanten Sprechgesang eines afrikanischen Sangmoa-Heilers. Auf "Terror Packets" konterkarieren die gesammelten Worte der Bürgerrechtlerin Angela Davis die blinde Wut der vorigen Verses. "In Thy Holy Name" und der Titeltrack sind Meisterleistungen in organischer Beat-Progression und auf "Burn To Ashes" verleihen die Melodien aus Godspeed You! Black Emperors "Static" Mutinas Klagen einen apokalyptischen Nachdruck. Man dürfte Schwierigkeiten haben, dieses Jahr ein Hip Hop-Album mit interessanter Produktion zu finden.
Was "I Lie Here Buried ..." aber erst seine emotionale Wucht verleiht, sind Backxwashs wütende, markante Stimme und die beeindruckenden Flows und Reimschemata, mit denen sie uns ihre messerscharfen, aufwühlenden Anklagen an den Kopf wirft. Ein absolutes Highlight stellt diesbezüglich der Titeltrack dar, in dem ihre tiefe Stimme den perfekten Kontrast zu Ada Rooks (Black Dresses) schrillem Geschrei in der Hook liefert. Wenn Mutina dann im zweiten Verse noch mehr aufs Gaspedal tritt, fühlt man sich förmlich von ihren Worten verfolgt, die das Gefühl, in der Diaspora leben zu müssen, mit satanistischen Bildern ausdrücken: "On the bed I'm moping with a head of horns / And the red in clothing in the den of swords / With the stake impaled, as Satan sells me / On the perfect hell and he says it well".
Aus lyrischer Perspektive wird es allerdings vor allem dann intensiv, wenn dieser okkulte Vorhand verschwindet. Auf "Terror Packets" erzählt beispielsweise Censored Dialogue die deprimierende Geschichte ihres Coming-Outs und vom Kampf gegen ein System, das sie mit den Herausforderungen die damit einhergehen vollkommen alleine lässt. Backxwash bringt es derweil auf den Punkt und fasst die Außenwahrnehmung ihrer selbst mit den Worten "I'm just a dick to these hoes" ungeschönt zusammen.
"I Lie Here Buried ..." ist ein kontinuierlicher Abwärtsstrudel, ein Abarbeiten persönlicher Traumata, eine emotionale Implosion, die alles und jeden um sich herum mit sich reißt. Dabei greift die Kanadiern zwar immer wieder ihre eigene schwindende mentale Gesundheit auf und adressiert ihre ungesunde Gewohnheit, diese mit Drogen zu betäuben ("Nine Hells"), richtet sich aber in allererster Linie ganz klar an die Verursacher dieser Probleme. Auf "In Thy Holy Name", dem wohl offensichtlich politischen Track der LP, nennt sie explizit Namen: Bezos, Trudeau, die Royals und sogar Biden und Obama, die für sie auch nur Mitläufer und damit letzten Endes Komplizen in diesem kaputten System sind.
Doch selbst die Apokalypse, nach der sich jedes der zehn Instrumentals förmlich die Finger leckt, verliert im Angesicht dieser überwältigenden Machtlosigkeit dem eigenen Schicksal gegenüber ihren Reiz. "And I ain't gon drink the kool-aid / Cause it's over if it works", rappt sie auf dem melancholischen "Song Of Sinners". Das schließende "Burn To Ashes" ist die logische Konsequenz daraus. Backxwash steht am Abgrund und blickt auf eine düstere Zukunft in einem Land, das sich Menschen wie sie am liebsten immer noch einfach wegwünschen würde. Was bleibt ist die destruktive Katharsis, zumindest in der Musik. Ihre Wut hat die Welt entflammt und ihr bleibt nichts anderes mehr übrig, als ihr beim Brennen zuzusehen.
1 Kommentar
"Die durchschnittliche Lebenserwartung einer schwarzen Transfrau in Amerika liegt bei 35 Jahren. Das ist schockierend, das macht traurig, das macht wütend."
Hm, nein, ehrlich gesagt, mich nicht. Natürlich ist das abgefuckt, aber meine emotionale Kapazität hat zum Glück Grenzem, sodaß mich das Schicksal einer kleinen Gruppe, zu der ich persönlich keinerlei Bezug habe, erstmal nicht instant in Trauer oder Wut versetzt.
Aber auch ohne diese biographische Background-Information über die Künstlerin ist das ein Monster von einem Album. Ich hatte bei diesem ganzen Stangenware-Trap-Rotz, der einem so um die Ohren geblasen wird, schon fast vergessen, wie emotional Rap eigentlich sein kann. Und, Junge, nimmt dieses Album mich mit! Auch sonst, mal technisch betrachtet, beatwise absolut top, die Samples, die Drums, der ganze Sound - Killer! Flows simpel aber immer on point und dazu eine wirklich gute Stimme. Features alle tight, und vor allem klingen die auch so, als hätten die sich Gedanken um den Song gemacht und nicht bloß ne Hook oder nen 16er hingefurzt.
Wirklich ein kleines Meisterwerk, Rap Album des Jahres für mich bis jetzt.
Fühlt sich in meinem Plattenschrank sehr wohl zwischen Saul Williams "Amethyst Rockstar", "Selling Live Water" von Sole und Nine Inch Nails zu seiner "Pretty Hate Machine" Zeit.
Ich hab Liebe für all diesen Hass! 5/5
Danke, laut.de, für diese Empfehlung