laut.de-Kritik
Eine Zeitreise in die vergessene Fantasiewelt der Kindheit.
Review von Magnus FranzDas Schönste an einer erdachten Welt im eigenen Kopf ist, dass sie für Niemanden außer einem selbst großartig Sinn ergeben muss. Gerade deshalb scheint auch Beabadoobees zweites Album "Beatopia" auf den ersten Blick nicht immer Sinn zu ergeben. Denn angelehnt an ihre eigene Fantasiewelt, die sie mit sieben Jahren als Flucht vor der nicht immer einfachen Realität kreierte, spielt das Album mit einer weitreichenden Varietät an musikalischen Inspirationen und Einflüssen.
Ein Blick in die Vergangenheit genügt allerdings schon, um den Sinn dahinter zu verstehen. Nach und nach offenbart sich, dass sich die Genreausflüge auf "Beatopia" vor allem auf einen bestimmten Zeitraum der musikalischen Vergangenheit stützen, der auch in Verbindung mit der Entstehung von Beas ursprünglichen, außermusikalischen Beatopia steht. "Fake It Flowers" zelebrierte den Rock und Grunge der 90er, doch "Beatopia" springt nun ein Jahrzehnt nach vorne und lebt im Zeichen der Musik der Nullerjahre. Wenn man also bedenkt, dass das "Beatopia"-Universum zu dieser Zeit im Kopf der noch jungen Bea entstand, verwundert es kaum, dass sein Soundtrack die Musik der 2000er ist.
Eben diese Nullerjahre hatten ja auch einiges zu bieten. Besonders R'n'B befand sich mit dem Triumphzug von Megastars wie Beyoncé, Usher oder Rihanna auf einem Allzeit-Popularitätshoch. Nachdem der klassische Rock seine einstige Vormachtstellung hingegen verloren hatte, sorgten zumindest einige Subgenres wie Nu-Metal oder Post-Punk für zeitweise Erfolge und Lebenszeichen aus der Rock-Welt. Garage-Rock feierte zudem ein glorreiches Comeback, während die Teen- und Bubblegum-Pop-Welle aus den 90ern in das neue Millennium überschwappte.
Die Liste an Charaktermerkmalen der 2000er kann natürlich noch in unzählige Richtungen ausgeweitet werden, doch gerade R'n'B und die Rock- und Pop-Subgenres sind die prägnantesten Einflüsse dieser Zeit, die Bea auf "Beatopia" nicht nur anschneidet, sondern auch gekonnt umsetzt und miteinander verbindet.
So erinnert "Sunny Days" mit gezupfter Akustikgitarre, seichten Harmonien und geradlinigem Breakbeat deutlich an Nelly Furtado. Auch "The Perfect Pair" zeigt einige R'n'B-Tendenzen, wobei hier jedoch das Bossa Nova-Feeling ganz klar im Vordergrund steht. "Talk", "10:36" und "Don't Get The Deal" entpuppen sich wiederum als mitreißende Alternative-Rock-Feuerwerke, wie sie schon auf "Fake It Flowers" zu finden waren, nur diesmal mit mehr Authentizität und einer selbstbewussteren Entschlossenheit als noch in der Vergangenheit. "Fairy Song" ist nicht zuletzt eingängiger Pop mit leichter Note einer Rockstar-Attitüde, in dem, wie auch in den meisten anderen Songs, immer wieder digitale Fragmente und enorm verzerrte Passagen an vereinzelten Stellen aufblitzen.
Zwischendurch gibt es dennoch auch musikalische Versuche, die sich dem 2000er-Mainstream entziehen und sich ein Stück weit davon entfernen. "Tinkerbell Is Overrated" holt TikTok-Überfliegerin PinkPantheress für einige Harmonien an Bord und erinnert im ersten, noch verhaltenen Anfangsstadium an "Animal Noises" von Beas letztjähriger EP "Our Extended Play", ehe die folkige Atmosphäre durch Drum'n'Bass-Beat einen interessanten Twist erhält. Der Opener "Beatopia Cultsong" ist wiederum ein Ambient-Mischmasch bestehend aus unzähligen kleinen Soundschnipseln, bei dem es fast schon verwundet, dass Label-Mates und regelmäßige Kollaborationspartner Matty Healy und George Daniel von The 1975 nicht in den Songcredits zu finden sind.
Während der Opener Healys und Daniels Mitarbeit somit zwar nur vermuten lässt, findet man ihre üblichen, mal mehr und mal weniger subtilen Kontributionen tatsächlich aber noch an späterer Stelle. Während "Tinkerbell Is Overrated" von Daniels co-produziert wurde, stammt "Pictures Of Us" mit quirligen Gitarren und Emo-Rock-Stimmung ursprünglich aus Healys Feder, ehe er den Song an Bea vermachte, die dann nur noch ein paar Strophen über Healys Kindheit durch jene ihrer Kindheit ersetzte. Auch der gemächliche und akustische Rausschmeißer "You're Here That's The Thing" ist abermals von Healys Lyrik-Beihilfe geprägt. Anhand charakteristischer Zeilen wie "When the lights go down don't say I didn't warn ya / I don't think that's legal in the state of California" verwundert dies auch ohne einen Blick auf die Credits allerdings kaum.
Mit einer klaren Idee vor Augen sowie der Hilfe von bekannten Gesichtern und Freunden, allen voran ihrem Gitarristen Jacob Bugden, der an jedem Songs mitgeholfen und mitgeschrieben hat, ist Bea auf "Beatopia" letztendlich vor allem eins: Selbstbewusster als noch auf dem kantigen und etwas gezwungenen Vorgänger. Gerade ihre Stimme kommt auf ihrem neuesten Projekt deutlich besser zu Geltung, doch auch insgesamt scheint sie sich in einem etwas reduzierteren Gewand deutlich wohler zu fühlen. Zwar gibt es immer noch gelegentliche Ausreißer wie Healys "Pictures Of Us" oder das eigentlich wunderschön orchestrale, aber etwas deplatzierte "Ripples", die auch nach mehrmaligem Hören einfach nicht so recht im Kontext des Albums aufblühen. Doch eine musikalische Entwicklung in die richtige Richtung hat die noch junge Songwriterin seit ihrem Debüt allemal durchlaufen.
1 Kommentar mit einer Antwort
Ich erinnere mich. Sie imitiert alles, was wir aus den 90er Jahren vergessen wollten. Ziemlicher Trollmove.
Jupp, hab ich mir auch gedacht.