laut.de-Kritik

Glasgows Indie-Darlings auf dem Weg zur Erleuchtung.

Review von

"A Bit Of Previous", ein bisschen was von früher – eigentlich müsste ein Best-of so heißen. Tatsächlich umschreibt der Albumname, den Bandleader Stuart Murdoch aus der buddhistischen Reinkarnationslehre ableitet, sehr passend, wie Belle and Sebastian auf ihrem zehnten Studioalbum, gekonnt aus der Fülle vergangener Glanztaten schöpfen, um ein neues, reiferes Kapitel aufzuschlagen.

Nach zahlreichen Projekten wie dem Live-Album "What To Look For In Summer", dem Soundtrack zur Komödie "Days of the Bagnold Summer" und einer ambitionierten EP-Trilogie veröffentlichen Glasgows Indie-Darlings ihr erstes reguläres Studioalbum seit dem Elektropop-Ausflug "Girls in Peacetime Want to Dance". Ursprünglich für kalifornische Studioaufnahmen eingeplant, entstand das neue Werk coronabedingt, erstmals seit dem 2000er "Fold Your Hands Child, You Walk Like a Peasant", in der Heimatstadt Glasgow und ermöglichte eine produktive Besinnung.

"Das, was wir lieben, konnten wir jetzt mit einer Konzentration tun, wie wir sie vielleicht noch nie hatten", erzählt Murdoch dem NME. Anders als sonst gingen Belle and Sebastian nicht mit fertigen Songs ins Studio, sondern nutzten die unerwartet verfügbare Zeit, um die Tracks allererst auszuarbeiten.

Über weite Strecken erreicht die siebenköpfige Band eine Bewusstseinsstufe, auf der sie ihr über 25 Jahre aufgebautes Songwriting-Spektrum aus melodieverliebten, früher oft verhuschten Finessen zu einem Powerpaket mit vielfältigen Arrangements bündelt und gleichzeitig ihr jugendbetontes Kreisen um Träume und Ängste in philosophischen, ja altersweisen Spiegelungen erweitert.

Als knackiger Reboot der Bandphilosophie triumphiert "Young And Stupid". Angeführt von einem verführerischen Violinenmotiv setzt der Feelgood-Opener den bandtypischen Fokus auf jugendliche Befindlichkeiten pointiert in Bezug zum Alter ("Flashes in the mind / you were young and stupid / Keeps us warm at night / All our young and stupid").

Eine ähnliche Jung-Alt-Synthese unternimmt später der exponierte Generationenvertrag "Come On Home" ("Give a chance to the old / Set the record straight for the welfare state / Give a chance to the young / Everyone deserves a life in the sun"), wobei dessen Verbindung zwischen Big-Band-Strophengroove und Refrain-Ekstase stimmiger sein könnte.

Beim Einstieg bündelt sich das vielschichtige Potential. Über einen Slow Jam aus Orgel- und Edge-Klängen, angejazztem Piano, feierlichem Bläser-Hook und einer grandiosen Gospel-Dramaturgie entwickelt "If They're Shooting At You" eine Antikriegshymne, wie sie aktueller nicht sein könnte. Selbst der elektronische Stil, der bei Belle and Sebastian nicht immer funktioniert hat, fügt sich nahtlos ins Konzept, wenn die kommunikationsfordernde Disco-Elegie "Talk To Talk To Me" klirrende "It’s A Sin"-Synths mit Stevie Jacksons ruppigen E-Gitarrensoli tariert.

Als großes Rock-Highlight brilliert "Unnecessary Drama". Angetrieben von einer völlig durchgedrehten Mundharmonika entsteht ein wilder Britrock-Soundstrudel mit einem mehrstimmig forcierten Refrain, der Bon Jovis Power-Motivation "It’s My Life" zweifelnd abfedert ("This is my life / This is my so-called life") und über das Leid den Weg zur Erleuchtung weist ("Enjoy the fervour of your love life / Cause it doesn't last (...) But then you find a new path (...) And feel amazed").

Auch wenn ein solcher Drive im Mittelteil sonst ausbleibt, locken besondere Momente. So belohnt das ausgiebig monoton gezupfte Abschieds- und Ratgeberlied "Do It For Your Country", das Cat Stevens oder Simon & Garfunkel wahrscheinlich früher angespannt hätten, irgendwann mit einer melodisch zugespitzten, tagträumerischen Kennedy-Variation ("Everything you see, feel, experience / Happens in your sloppy soul, girl (...) Ask not what your country can do for you / Baby do it for your country").

Ums selbstironische Ausbalancieren von Vorstellungswelten dreht sich auch die Außenseiterromanze "Prophets On Hold". Ihr lyrischer Spagat zwischen romantischer Verklärung und Ernüchterung ("And I sometimes confuse you for / God or angel / You're just a person") spiegelt sich im musikalischen Wechsel von überzuckertem ABBA-Pathos zu verträumter Entspannung.

Perfektes Gleichgewicht findet "A Bit Of Previous" im Finale. Mit "Deathbed Of My Dreams" gelingt Gitarrist Stevie Jackson eine herrlich zurückgelehnte Country-Ballade, die sich voll und ganz auf älteste Genremuster verlässt, die einfach so dahinpfeift, auf dem Bottleneck schwelgt und der großen Liebe hinterhertrauert ("Where’s my girl? Where did she go? I could not foresee. Seems so in the distance now / The deathbed of my dreams").

Seine spirituelle Quintessenz findet das Album in "Sea of Sorrow". Über eine minuziöse Komposition klassischer McCartney-Schule entfaltet der fünfminütige Song eine buddhistische Allegorie des Lebens ("Swimming in a sea of sorrow / Heading for a world of promise"). All die vielen Erzählungen der Band vom Suchen und Hadern und Träumen scheinen hier eine neue Mündung gefunden zu haben.

Trackliste

  1. 1. Young And Stupid
  2. 2. If They're Shooting At You
  3. 3. Talk To Me Talk To Me
  4. 4. Reclaim The Night
  5. 5. Do It For Your Country
  6. 6. Prophets On Hold
  7. 7. Unnecessary Drama
  8. 8. Come On Home
  9. 9. A World Without You
  10. 10. Deathbed Of My Dreams
  11. 11. Sea Of Sorrow
  12. 12. Working Boy In New York City

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