laut.de-Kritik
Mit dem Finger in den (dicken) Allerwertesten.
Review von Michael SchuhAls mir der Redaktionsalltag im Jahre 2000 das Johnny Cash-Boxset "Love God Murder" in die Hände spielte, fragte ich mich: Wie konnte ich vorher ohne diese Stimme sein? Heute ergeht es mir ähnlich: Wie konnte ich die von Kollegen oft gerühmten Songwriting-Qualitäten von diesem Ben Folds so schamlos übersehen? Dabei hat der Typ in Nashville sogar sein eigenes Studio.
Der Zungenbrecher "Supersunnyspeedgraphic" weist allerdings nicht auf den Marschierpulverkonsum des Amerikaners hin, sondern ist ein Wortzusammenschluss seiner "Super D", "Sunny 16" und "Speed Graphic" betitelten EPs, die der Mann 2003 nur übers Internet veröffentlichte. Da im Körper von Ben Folds aber zum Glück zwei Herzen schlagen (Stichwort Nashville), tat es ihm irgendwann im Laufe dieses Jahres dann doch leid, dass diese tollen Songs nur an die Ohren seiner eingeschworenen Fangemeinde stoßen können.
Also nahm er einfach die alten Aufnahmen, suchte die Highlights aus, spielte manche sogar neu ein, ergänzte sie mit einem Song der raren "The Bens EP" (Kollaborationen mit Ben Kweller und Ben Lee) und fertig ist ein neuer alter Tonträger. Mit dabei sind natürlich auch seine Buddys Jared Reynolds (Bass) und Lindsay Jamieson (Drums).
Natürlich zieht Folds einen alten Cure-Haudegen wie mich mit seiner wunderbaren Coverversion von "In Between Days" im Stehgreif auf seine Seite, doch verblüffen im Folgenden auch seine eigenen Songs mit wahrlich nicht alltäglichem Ideenreichtum und textlicher Raffinesse. Über das Thema in "There's Always Someone Cooler Than You" dürfte wohl jeder so seine eigene Geschichte zu erzählen haben, wenngleich doch schleierhaft bleibt, wieso uns darüber ausgerechnet einer belehrt, der sich für die Album-Rückseite in ultraknappen Früh-80er-Shorts am Klavier sitzend ablichten lässt.
Dass der Mann an eben diesem Instrument so einiges drauf hat, belegen auch "Adelaide" und besonders der Mittelteil des vor Sarkasmus triefenden "All U Can Eat", in dem Folds all seinen an Selbstzufriedenheit leidenden Landsmännern den Finger in den (dicken) Allerwertesten steckt. So ungefähr könnte sich auch Dr. Dre gefühlt haben, falls er schonmal die Folds-Version seines Songs "Bitches Ain't Shit" zu Ohren bekommen hat. Die Art und Weise, wie der Piano Man das Hip Hop-Original in eine zarte Ballade umwandelt und trotzdem sämtliche Kraftausdrücke im Text beibehält, ist das atemberaubende Highlight des Albums.
"Songs Of Love" lässt die poporientierte Akkord-Akrobatik Paul McCartneys hochleben und erinnert mich von der Gesangslinie etwas an Queens "The Millionaire Waltz". Beides Referenzen, die Ben sicherlich adden würde, falls die ihn als "friends request" in seinem MySpace-Account darum bitten würden. Dagegen wirkt die The Darkness-Coverversion von "Get Your Hands Off My Woman" fast schon zu hektisch. Kurzum: Es gibt eine Menge zu entdecken bei dem Mann aus North Carolina und ich besorge mir jetzt erstmal seinen Back Catalogue.
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