laut.de-Kritik
Bombastisch, rockend, Biffy!
Review von Josef Gasteiger"It is all about the ping pong." Im Backstagebereich brauchen die Jungs von Biffy Clyro weder Versuchungen der alkoholischen oder femininen Art, es reicht eine Tischtennisplatte. Wie überaus Rock'n'Roll. Diese und mehr Geschichten erfährt man auf der ersten Live-Scheibe des Schottendreiers, nach zehn Jahren ununterbrochen auf Tour längst verdient.
Schauplatz dieses Dokuments ist die Wembley Arena (nicht zu verwechseln mit dem Wembley Stadium, dem diese Herren in ihrer letzten Live-DVD huldigten), wo am 4. Dezember 2010 Biffy Clyros bis dato größte Headlinershow stattfand. Wenige Wochen zuvor tingelte die Band noch in deutschsprachigen Breitengraden durch 300er-Clubs, auf der britischen Insel wurde seit der leicht schelmischen Öffnung gegenüber den gefälligeren Tönen mit "Puzzle" die Fangemeinde immer größer.
Alle Daheimgebliebenen bekommen mit der hier vorliegenden Limited Edition aber auch das volle Programm. Das komplette, 25 Songs umfassende Set gibt es auf zwei CDs auf die Ohren, dazu noch einen überragenden Mitschnitt des Gigs auf DVD, der auch visuell beeindruckt. Dazu spendierten sie noch die 30-minütige Dokumentation vom letztjährigen Auftritt beim T in the Park-Festival, wo die Band schon stolze 14 Mal auf die Bühne ging. Mehr Heimspiel geht im schottischen Hochland nicht.
Was bei der DVD schon nach wenigen Minuten überrascht: Biffy Clyro haben nicht wenige Tricks aus der großen Zauberkiste des Arena- und Stadionrocks für ihre Tour geklaut. Nun ist man natürlich nicht in abgehobenen Muse-Sphären, trotzdem überrascht der Bombast.
Ob Sänger Simon bei der ersten Zugabe mit einem Stroboskop in der Hand über die Bühne latscht, er schon nach wenigen Minuten am "Ego"-Steg auf die Knie fällt, ihn beim Gänsehauterzeugenden "Machines" ein Vorhang von Glühbirnen umkreist, oder beim großen Finale in "Mountains" gar der Konfettiregen die Bühne zudeckt – solche großen Gesten hätte man den Schotten gar nicht zugetraut.
Aber Biffy Clyro haben schon zu viele Nächte im Bandvan verbracht, um nicht auch einmal das große Besteck auffahren zu dürfen, wenn die Möglichkeit besteht. Und beeindruckend ist die Optik allemal, nicht zuletzt dank der durchdachten Kameraarbeit. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass dieser Film nicht in einer Nach-und-Nebel-Aktion schnell zusammengeschustert wurde, auch wenn sich die Liebe des Cutters zur Zeitlupenfunktion etwas zu stark offenbart.
Mindestens genau so viel Herzblut beweist die Band aber bei der Performance. Ist schließlich nichts neues, dass die drei Typen ohne Hemd auf der Bühne am liebsten die ganze Körpermasse wegschwitzen möchten. Die Geschwister Ben und James Johnston und der dritte Bruder im Geiste, Simon Neil, sind die leibhaftige Tightness und haben sichtlich Spaß an der großartigen Kulisse und dem Publikum, das auch laut und gerne mitsingt. Ex-Oceansize-Gitarrist Mike Vennart streut immer wieder eine zweite Gitarrenspur bei und dickt den ohnehin schon sehr wuchtigen Sound noch auf.
Von jedem der fünf Alben erklingen mindestens zwei Songs, wobei die "Puzzle"- und "Only Revolutions"-Anteile naturgemäß überwiegen. Die Mischung machts wirklich, und der Ablauf wirkt aus einem Guss, der immer wieder neue Euphoriespitzen liefert.
Zum Beispiel wenn die prädestinierten Opener "The Golden Rule" und "Living Is A Problem Because Everything Dies" als Doppelschlag nach der ersten halben Stunde das Haus schier einreißen. Und dann wenige Augenblicke später "Folding Stars" in einem knappen Akustikgerüst von Simon allein vorgetragen wird und im anschließende "Machines" schließlich die Tränen kullern. Das gemischte Set legt augenscheinlich dar, wie konstant die Qualität im Biffy-Backkatalog ist.
Konstant ungesprächig ist Simon auch auf der Bühne. Mehr als ein "Hello, we're Biffy Clyro" gibt es selten. Dafür quasselt er mit Ben und James in einem grandios unterhaltenden und informativen Audiokommentar über die ganze Länge des Konzertes. Wer dem nicht unerheblichen schottischen Akzent ans Leder kann, erfährt auch einige Details über die fette Produktion und hört fast schon philosophische Überlegungen der Band zu einem perfekten Livekonzert. Und dass es hinter den Kulissen bei Biffy Clyro recht ruhig zu geht, weil eigentlich alle immer Tischtennis spielen. Sehr sympathischer Gesamtauftritt einer Band, die sich jeden einzelnen Konfettisplitter redlich verdient hat.
4 Kommentare
Danke Biffy, für zwei recht gelungene und ein herausragendes Album... Dass ihr dafür seit 2 Alben konsequent auf die großen Stadien und die vollen Konten schielt: Geschenkt. Wie ihrerzeit bei Incubus oder auch dredg bin ich froh, euch mal in nem kleinen verschwitzten Club aus 1,5m Entfernung zusammen mit 150 anderen Freaks gesehen zu haben, bevor ihr's dann wohl bald auch in Deutschland nicht unter der 3000er Marke macht. Ich wünsch euch weiterhin alles Gute beim Zusammenspielen der Altersvorsorge und hör noch mal rein, sobald ihr's nicht mehr nötig habt, mit eurer Musik die Fraktion "alternativ-rockender Abi-Mädels" zu unterhalten. Hoffentlich dauert das nicht so lang wie bei Incubus, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Herzlichst, euer Bürgermeister von Infinity Land
Oha, ich bin immer wieder erstaunt welchen emotionalen Schaden ehemalige Lieblingsbands bei ihren früheren Fans hinterlassen können.
Mir egal, denn Gott sei Dank haben Biffy Clyro den
verschwurbelten schrägen Prog hinter sich gelassen und spielen jetzt grandiosen Pop mit fetten Gitarren. Das können sie nämlich wie niemand sonst und live sowieso. Ich hab sie mal in Bremen gesehen und träume heute noch davon.
So "schräg" und "verschwurbelt" war der Prog der ersten Alben gar nicht mal.
Ich finde Biffy haben es prima verstanden, solche Parts mit eingängigeren zu mischen, so dass es weder zu schräg, noch zu langweilig wurde.
Ich kann auch den neueren Alben (vor allem Puzzle) recht viel abgewinnen und finde es gut, dass ich je nach Lust und Laune zu den älteren oder neueren Songs greifen kann.
Allerdings finde ich die "normale" Live Edition mit nur einer CD und 19 Songs etwas zu "Only Revolutions" lastig.
Deshalb direkt die Limited über die Homepage bestellt (9,90 Pfund + 4 Pfund Shipping !!) und hoffe auf gute Live Atmosphäre.
Ich gehöre auch zu den Fans der ersten drei Alben. Mit "Puzzle" hat man dann angefangen, den Lohn für seine Mühen zu ernten. Ich habe "Puzzle" sogar etwas schlechter bewertet als "Only Revolutions", wobei ich sagen muß, daß "Puzzle" dann doch die wesentlich größere Halbwertszeit hatte.
Unglücklich finde ich, daß die Standardausführung mit "Justboy", "Joy.Discovery.Invention." und "There's No Such Thing As A Jaggy Snake" aber gerade auf das Material verzichtet, das die alten Fans etwas aussöhnen kann im Vergleich zu dem überproportional vertretendem "Only Revolutions". Auch wurde auf "As Dust Dances" verzichtet, einen meiner Lieblingssong der neueren Stücke.
Aber gut, der Titel sagt ja schon alles "Revolutions Live".
Daher kann man an der Deluxe-Ausgabe auch eigentlich nicht meckern, auch wenn ich auf solala Songs wie "God Satan", "Born On A Horse" (für mich das schlechtere "Who's Got A Match") oder "Shock Shock" gerne verzichtet hätte und lieber "Toys, Toys, Toys, Choke, Toys, Toys, Toys", "Liberate The Illiterate" "Only One Word Comes To Mind" oder "Now I'm Everyone" gehört hätte.
Ich finde auch nicht, daß Biffy Clyro zu progressiv und verschwurbelt waren, denn gerade die überraschenden Wechsel sorgten dafür, daß nie Langeweile aufkam und nicht minutenlanges Gitarrengefrickel die Musik irgendwie künstlich aufgebläht haben.
Die Live-DVD muß ich mir noch ansehen. Slowmo geht in meine Augen zwar gar nicht, aber sie müssen ja den neueren Fans auch irgendwie was bieten und wie bei den Foo Fighters auch, stehen unheimlich viele Leute auf solches Gepose.