laut.de-Kritik
Mehr von diesen Beats, weniger Inzucht mit Müttern und Schwestern bitte.
Review von Philipp GässleinGlück gehabt: Am Erscheinungstag des Albums zog Bushido mit lediglich 20.000 Euro Strafe für die schwere Körperverletzung in Linz seinen Kopf gerade noch aus der Schlinge. Bis zu fünf Jahre in einer österreichischen Strafanstalt drohten dem Rapper, der gemeinsam mit zwei Gorillas einem mutmaßlichen Reifenstecher die Knochen aus dem Leib geprügelt hatte.
Wenn man ihm so zuhört, dann hat er zumindest in Gedanken eine volle Dekade hinter schwedischen Gardinen verbracht. Der Titeltrack beispielsweise zeichnet ein Bild vom Knastleben, wie man es aus Spiegel-Artikeln über die US-Menschenrechtsverletzung in der Guantanamo Bay kennt. Kaum zu glauben, was südlich der Isar bei einem lediglich zehntägigen Gefängnisaufenthalt so passieren kann. Muss da nicht jemand aufpassen? Trotzdem rockt der Track wie ein angestochenes Spanferkel auf Speed, was nicht zuletzt mit dem genialen Beat der österreichischen Formation Beatlefield zusammenhängt.
Die am Ende sowieso als Gewinner feststeht. Vor zwei Monaten noch allenfalls auf Spax' Underground-Sampler vertreten und weitgehend unbekannt, nimmt die Karriere der drei Österreicher jetzt wohl einen ähnlich steilen Aufstieg wie die von Baba Saad oder Fler. Beatlefield sorgen nicht nur mehrfach für eine gelungene musikalische Untermalung, sondern stellen mit Chakuza auf "Sandmann" und "Mein Leben Lang" auch den besten rappenden Featuregast.
Diesbezüglich stellt "Staatsfeind Nr.1" seine zwei Vorgänger sowieso in den dunkelsten Schatten. Die Renaissance wird neben Beatlefield vor allem von D-Bo und Godsilla eingeläutet. Auch Baba Saad hat sich stark gesteigert und hält das Niveau seiner Kollegen stellenweise sogar. Tränen hingegen treibt Cassandra Steen in die Augen. "Bis Wir Uns Wiedersehen" - das ist keine Gänsehaut, das ist Schleifpapier. Der vielleicht beste Track in der Karriere des Berliners und ein ganz heißer Kandidat für die Jahresendwertung.
Deepe Songs lieferte Bushido auf eigentlich jeder Scheibe ab, aber selten brachte er sie so ehrlich rüber wie heute. Okay, sich den Rapper als fürsorglichen Engel vorzustellen, der nachts über die Kinder wacht, ist gewöhnungsbedürftig. Ich hätte eher ein wenig Angst davor, den Berliner nachts an meinem Bettchen zu sehen. Aber mit "Augenblick" und "Sieh In Meine Augen" macht er schon Einiges wieder wett, was er im letzten Jahr verspielt hat, und sammelt viele Sympathiepunkte.
Obwohl Ilan, der maßgeblich an den knochentrockenen Beats der Vergangenheit beteiligt war, inzwischen nicht mehr an den Produktionen teilhat, müssen sich auch die harten Songs nicht verstecken. "Waffendealer" walzt mit einer Sti-Produktion gleich zu Beginn alles platt. "Das Leben Ist Hart", "Hymne Der Straße", "Endgegner", das hört sich schon alles nicht schlecht an. Und erstaunlicherweise funktioniert der Wandel hin zu melodiöseren Beats wirklich reibungslos. Manch einer hätte das nicht für möglich gehalten.
Es ist traurig, dass erneut brachiale Ausrutscher den positiven Gesamteindruck nachhaltig schmälern. Der Fler-Diss gemeinsam mit Eko beispielsweise. Vor einigen Monaten beschwerte Bushido sich noch über Mütter-Beleidigungen, und Eko schien auch nicht so glücklich über die Behauptung des AggroBerliners zu sein, seine Freundin Valezka sei die wandelnde Stadtmatratze von Deutschrap-City. Heute wird Flers Mutter gefickt. Großartig. Wird das nicht irgendwann langweilig? Nach der Grundschule oder so?
Ein Brüller ist "Ab 18". Die Reime wirken derartig nach Bauplan gestrickt, dass man es wirklich nicht ignorieren kann. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man fast glauben, der Text stamme von zwei Kiddies in tiefster Pubertät nach Genuss des ersten Vox-Pornos. Und während man gerade noch begeistert "Sieh In Meine Augen" auf sich wirken lässt, gibt der Rapper einem mit dem völlig überflüssigen Quoten-Amifeature "Harter Brocken" den Rest. "Du bist wie Haferflocken, / ich bin ein harter Brocken, / fick deine Schwester wenn deine Eltern im Theater hocken." Ganz großes Kino.
Bushido war nie ein großer Lyricist, aber wann immer er sich auf seine Stärken besann, landete er Volltreffer. Das beweist er auch auf "Staatsfeind Nr.1" wieder zu Genüge. Sollte der musikalische und inhaltliche Wandel nun vollzogen sein, straft er alle Kritiker Lügen, die ihn nach "CCN2" schon totsagten. Mehr Ehrlichkeit, mehr von diesen Beats, weniger Inzucht mit Müttern, Schwestern und sonstigen Familienmitgliedern jeglichen Geschlechts, und das nächste Album wird sich wieder in jedes Kopfnickerhirn bomben.
4 Kommentare
Sein schlechtestes Release überhaupt...
mein leben lang
Sein bestes Release überhaupt !!
Mit Sicherheit eines seiner schlechtesten Releases. Eigentlich ist kein einziger Track wirklich gut, dafür wurde noch mehr der Fokus auf eingängige Singles und Zeug für die breite Masse gelegt. Dazwischen ist die Tracklist aufgefüllt mit irgendeinem Filler-Stuff, langweiligen Features und auf Dauer auch eintönigen Beats. Da würde ich die 1/5 ziehen.