laut.de-Kritik

Die neue R'n'B-Aristokratie.

Review von

Just diese Woche hat Victoria Monét eine kleine Weihnachts-Deluxe für ihr letztjähriges Album "Jaguar II" veröffentlicht. Darauf finden sich Instrumental-Remixe, die das Album ein bisschen in die Richtung bekannter Weihnachts-Melodien umlenkt. Nur ein paar Monate vorher kam eine Deluxe-Variante des Tapes heraus, die die Spielzeit fast verdoppelte.

Dieses Album der - laut den Grammys - besten Newcomerin des letzten Jahres war erfolgreich und renommiert genug, dass sie es noch mal zwölf Monate gemolken hat. Ich werde jetzt nicht über ihre Jingle Bells-Beat-Version reden, aber ich nutze die Gelegenheit klammheimlich, um noch einmal eine Review für "Jaguar II" hinterherzuheucheln. Denn meine erste Einschätzung hierfür war komplett daneben. Ich dachte erst, diese Frau wäre pseudo-erwachsener Award-Bait á la H.E.R. Ein Jahr später, es ist wie es ist, höre ich nochmal diesen modernen R'n'B-Klassiker und frage mich, ob ich eigentlich taub bin.

Nein, man muss kein Connaisseur sein, um dieses Album wertschätzen zu können. Das hat drei Gründe: Erstens klingt es einfach geil. Monét hat diese aristokratische Aura, die dem Genre in der Post-The Weeknd-"Trilogy"-Ära einfach ein bisschen verloren gegangen ist. Alle sind jetzt downbeat und mysteriös und tragen nur schwarz. Die Farben auf diesem Album sind aber warm, sepia und durchleuchtet. Sie klingt classy wie ein Vintage-Jet-Magazin, ihre Instrumentation klingt analog und warm, von den Blechbläsern bis zu den Moog-Synthesizern. Und trotzdem klingt ihr Songwriting weder aus der Zeit gefallen noch wie ein Throwback.

Das wäre das zweite Argument für das Album: Das Pacing ist absolut exzellent. Es nimmt viele Lektionen des 21. Jahrhunderts in Album-Arrangement und Storytelling mit. Zum Beispiel diese ersten drei Tracks, die sich alle wie übereinander aufbauende, ambitionierte Passagen eines ambitionierten Intros anfühlen.

"Smoke" wirkt, als würden Lucky Daye und sie den Soul Train anmoderieren, es folgt ein buttersmoother Reprise, dann kommt noch eine zweite Doppel-Moderation, dieses Mal in Form eines global vernetzten Reggae-Toasts mit Buju Banton. All diese Tracks haben Hand und Fuß, sie haben Hooks, aber doch haben sie diese festliche Ausstrahlung, als würden sie auf etwas hinarbeiten, das sich dann im Rest des Albums entladen kann. Im Kontext der Bryson Tillers und Summer Walkers kommt das erfrischend, denn so gut sie sein mögen, ihre Alben haben diese Tendenz, eine Stunde lang die selbe Geste auf einer ähnlichen musikalischen Farbpalette zu deklinieren.

Ach ja, und dann ist da das dritte Argument: Das Album arbeitet wirklich auf etwas hin. Denn nachdem die große Geste vollzogen ist, folgen wirklich auch Hits. Der größte ist definitiv der universell populäre "On My Mama", der so viel Tension und so viel Sex Appeal darin freisetzt, dass diese Frau sich über drei Minuten über reduzierten, analogen Bass selbst hochleben lässt. Der Chant-Refrain wirkt als einziger richtiger Release, der Rest der Song lebt komplett von einem simplen, aber vakuumtighten Groove und ihren irren Vocals.

"Cadillac (A Pimp's Anthem)" macht das nicht unähnlich. Thematisch knüpft sie besonders an ihre Zeitgenossinnen an - das ist Empowerment, das hat einen gewissen Humor. Sie ist Interpret, nicht nur Performer. Und der Humor und die Lockerheit machen, dass sich diese supergeschmackvolle Produktion nicht staubig und streberhaft anfühlt. Das mag hohes Lob sein, aber man fühlt im Laufe dieses Tracks, es könne jeden Moment ein Andre 3000 einsteigen. Ob rappend oder mit Flöte.

Noch höheres Lob: Auf "Hollywood" rekrutiert sie Earth, Wind & Fire. Eine der Grundregeln unserer Redaktion lautet ja, man sollte bitte gefälligst Feature-Gäste nicht mit "niemand Geringerem" ankündigen. Aber god damn, hat es mir gerade Zurückhaltung gekostet, das nicht zu tun. Es handelt sich immerhin um niemand Geringeres als Earth, Wind & Fire. Sich neben solchen Adel der schwarzen Musikgeschichte zu stellen, das macht schon Eindruck. Nicht daneben unterzugehen, sondern komplett natürlich auf Augenhöhe zu arbeiten, das macht noch mehr.

Am Ende fehlt dem Album vielleicht zehn Minuten Extradauer, um es wirklich ohne Zweifel als modernen Klassiker anpreisen zu können. Was es mit dem Intro so großartig macht, gelingt mit dem Ausstieg nicht so recht. "Good Bye" ist solide, aber kommt immer gefühlt, wenn man eigentlich stimmungsmäßig gerade mitten im Hauptteil des Albums sein könnte. Aber das ist minimaler Makel an einem Projekt, das sonst irrsinnig viel richtig macht.

"Jaguar II" hat das Potential, ganze R'n'B-Generationen zu versöhnen. Es ist ein authentischer, krampfloser moderner Take auf diesen klassischen Sound, der kein bisschen "Real Hip Hop"-Gatekeeper-Attitüde mitbringt. Es ist einfach nur verdammt gute Musik, mit allen Songwriting-Kniffen gewaschen, verankert im modernen Album-Game und mit einer sympathischen wie gleichermaßen Ehrfurcht gebietenden Künstlerin an der Front. Wäre ich sie, würde ich das auch mindestens noch ein paar Jahre melken.

Trackliste

  1. 1. Smoke (feat. Lucky Daye)
  2. 2. Smoke (Reprise)
  3. 3. Party Girls (feat. Buju Banton)
  4. 4. Alright
  5. 5. Cadillac (A Pimp's Anthem)
  6. 6. How Does It Make You Feel
  7. 7. On My Mama
  8. 8. I'm The One
  9. 9. Stop (Askin' Me 4Shyt)
  10. 10. Hollywood (feat. Earth Wind & Fire)
  11. 11. Good Bye

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