laut.de-Kritik
Eindrückliche Raportagen aus dem finsteren Frankfurt.
Review von Dani FrommSeit eh und je, das mag an der Hässlichkeit der Stadt liegen, gerät Sound in Frankfurt ein wenig finsterer als anderswo. Für apokalyptische Stimmungen ist die Bankenmetropole berüchtigt - und eigentlich schlägt Caiman genau in diese Kerbe. Dennoch gelingt ihm das Kunststück, ein Album vorzulegen, wie es der deutsche Hip Hop noch nicht gesehen hat. "Blau Luxemburg" ist in erster Linie eins: ganz anders.
Caiman spart sich Bling-Bling ebenso wie Betroffenheitslyrik und Gefühlsduseleien. Statt dessen schnürt er seine Tracks mittels verbindenden Einschüben zu einen Hörspiel zusammen, das mehr von einem Entwicklungsroman mitbringt, als einem Hip Hop-Album gemeinhin zugetraut wird. Siddharta für Kopfnicker? Wer sich eine gute Stunde Zeit nimmt, richtig zuzuhören und an der Seite von Caimans Alter Ego Blau Luxemburg den Weg durch den Dschungel der Großstadt beschreitet, wird möglicherweise merken, dass der Vergleich nicht ganz aus der Luft gegriffen ist.
Caiman verzichtet - mit Ausnahme von etwas Unterstützung beim Sprechen der Hörspiel-Interludes - vollkommen auf Features. Der Streifzug Blau Luxemburgs durch die Hoffnungslosigkeit einer Nacht in einen viel versprechenden neuen Morgen ist der seine, den er folgerichtig auch alleine nachzeichnet. OK, Caiman ist nicht der abwechslungsreichste MC unter Frankfurts Dunstglocke. Eine gewisse Eintönigkeit prägt seine dennoch flüssig vorgetragenen Raps - passt aber paradoxerweise fabelhaft zu der über weite Strecken elend trübsinnigen Lyrik. Ganz recht: Lyrik. Der Bilderreichtum, die Poesie und die schiere Flut von Text beeindrucken mich alten Wortfetischisten gnadenlos. "Ich leg' die Finger auf die Wunden und bring' auch noch das Salz mit." Wahrheiten sind nicht immer leicht verdaulich.
Der Beat zu "Two Minute Warning" stammt von Floetry. Bei allen anderen handelt es sich um Caiman'sche Eigenproduktionen, für die einmal mehr das Prädikat "erfrischend anders" gilt. Caiman schert sich einen Dreck um gängige Klischees und Standards. Seine düsteren Endzeitstimmungen sind durchzogen von hübschen kleinen Einfällen. Ein verlorenes Piano weht durch "Das Ende Der Welt"; in "30 Silberlinge" übernehmen Streicher eine ähnliche Funktion. Caiman spielt mit Kontrasten, mit den Rhythmen von Beats und Sprache. Wenn Blau Luxemburgs Welt ihre Balance verliert, spiegelt sich das in den Instrumentals. Selten hatte ich in letzter Zeit mit einem derart schlüssigen Zusammenspiel von Sound und Inhalt zu tun.
Ja, das hier bewegt sich schon sehr "weit entfernt von 'Deutschland sucht seinen neuen Star'", und aus "Blau Luxemburg" wird mit Sicherheit kein massenkompatibles Stück Deutschrap. Aber wer will schon Ware von der Stange? Der Mann mit dem Schatten eines Alligators zeigt, dass unter den immer gleichen Masken, die Hip Hop in diesem Land aufgezwungen werden, noch tausend andere Gesichter stecken. So lange das wahr ist, ist keineswegs aussichtslos, dass irgendwann alles gut wird. Danke dafür.
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