laut.de-Kritik
Flirriger, glockiger House-Pop mit KI-Frauenstimme.
Review von Franz MauererCaribou ist zurück und wir freuen uns. Taten wir an anderer Stelle ja schon im Vorgriff auf die kommenden Liveauftritte. Die Promokampagne zu "Honey" mit den Masken war so herzerfrischend weird und simpel und doof, man fühlte sich gleich wieder zuhause im Snaith'schen Kosmos.
Den Opener "Broke My Heart" hatten wir schon vorbesprochen: Eine flirrige, lebendige Nummer mit deutlich hektischen Zügen. Was fürs Auto, ein bissl wenig Tiefgang. Gilt auch für den Titeltrack, der weniger aufreibend ausfällt, aber auch weniger charmant. Der Bass ist allzu wabernd, das Vocal-Sample handwerklich gut, der Rest der Effekte und die 08/15-House-Drums wirken etwas billo.
Bei "Volume" dreht man selbige nicht auf wegen der Anweisungen des M/A/R/R/S-Samples, sondern wegen des glockigen, energetischen Beats. Samples und Struktur geraten zu beiläufig, erst zum Schluss steigt die Intensität und öffnet sich zu einem House-R'n'B-Bastard. "Do Without You" erinnert im Titel natürlich zwangsläufig an "Can't Do Without You", wie das ganze Album dem ersten Eindruck nach gut unter das Daphni-Moniker gepasst hätte. Man merkt aber, dass vor allem die starke Verwendung von Gesang, sei es als Sample oder klassisch, schon einen Unterschied zu Daphni bildet. Caribou ist Indie mit elektronischen Mitteln, Daphni ist Elektronik. Qualitativ zieht der Song das Niveau merklich an. Selber Stil, aber mehr Struktur und Idee dahinter. Der seufzende Feengesang in Verbindung mit dem Sample und der griffigen Musik ergeben einen ganz feinen Housetrack mit ganz viel Popappeal, der zum Schluss genau die richtigen Bahnen erneut zieht.
Erst verliert er sie, dann sagt sie: "Come Find Me". Fröhlicher, tanzbarer, unbeschwerter geht Elektronik kaum, der alte Grantler und Grübler Snaith zeigt eine in dieser Expressivität doch neue Seite auf. Das ist Musik, die selbst schlechte Orte, an denen diese Art von Musik manchmal gespielt wird (lieblose Dachterrassen-Bars von lieblosen Hotels, Strandbars, die Wartezeit auf die Vorband, Outdoor-Festival-Nebenbühnen) schön machen könnte. Dafür muss man gar nicht in der Stimmung sein, "Come Find Me" nimmt einen so unschuldig lachend an die Hand, man kann gar nicht anders, als mitzurennen im Hopserlauf. Wieder liegt es an der Struktur; Snaith hält alles supersimpel, aber wie beim Kochen gilt auch in der Musik: Supersimpel muss man erst mal bekömmlich hinkriegen.
"August 20/24" ist eine schöne Fingerübung, die mit eineinhalb Minuten zu kurz bemessen ist. "Dear Life" kippt leider in eine allzu süße Atmo. Das liegt auch an der aalglatten, in Zuckerwatte galvanisierten "Sängerinnen"-Stimme, die keine ist - es singt immer Snaith, er manipuliert seinen Gesang dann mit KI, meist Richtung Frauenstimme. Das klappt oft gut, auch wenn es eine echte Sängerin mit ihren Brüchen nicht ersetzen kann, passt aber zur ebenfalls recht streamlinigen Musik. Das muss nichts Schlechtes sein, wie "Over Now" zeigt. Immer nur nach vorne, ohne brachial zu werden, ein Fluss, der anzieht, nachlässt, manchmal verspielt plätschert.
"Campfire" zitiert den Opener und zerschießt sich mindestens ein Mal zu oft selbst; das Rap-Intermezzo und das Indie-Ende haben im selben Song nichts verloren, was auch für die anderen gefühlt fünf disparaten Teile binnen zweieinhalb Minuten gilt. Bei "Climbing" geht die Formel wieder auf, zum Ende des Albums fällt dann aber schon auf, dass die Tracks deutlich weniger hängenbleiben, als man es von Caribou gewohnt ist, auch wenn sie Spaß machen. Sagt's und dann kommt mit "Only You" der beste Song des Albums, der eben genau so richtig quer liegt, mit schiefen Synthies, nicht perfektem Gesang, einem tollen, Dancefloor-tauglichen Aufbau und viel Komplexität.
"Honey" ist ein gutes Album, das Dan Snaith offenkundig großen Spaß gemacht hat und so wird er es live auch vortragen. Angesichts seiner wie Obelisken stehenden Großwerke der Vergangenheit muss er damit leben, dass eine andere Tiefe von ihm gefordert wird, als sie ein einzelndes Crescendo wie das gleichwohl gute "Got To Change" hinbekommt. Vielleicht kann man mit diesem so guten wie seichten Ding auch Unbeleckte und Kinder zu gutem Elektro hinführen?
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