laut.de-Kritik

Viel hilft doch nicht immer viel.

Review von

Eigentlich verdient Casper es nicht, dass man überkritisch an ihn herangeht. Der Mann ist ein Süßi. Er verkörpert so viel von dem, das Deutschrap bitter nötig hätte: Er hat Mut zum eigenen Sound, er denkt sich so richtige Songs-Songs aus, variiert sogar Struktur und Genre darin, er rappt über Sachen, er gibt sich richtig Mühe mit Alben und lässt sich angemessene Zeit dafür. Deshalb verstehe ich die Euphorie-Welle, die gerade zu "Alles War Schön Und Nichts Tat Weh" durch die Republik geht. Casper ist einer der wenigen Leute hierzulande, die aktiv versuchen, Klassiker zu machen. Mit großem Sound, Arena-tauglich und verdammt schweren Themen. Warum klickt es für mich trotzdem nicht?

"Alles War Schön Und Nichts Tat Weh" kann man sich ein bisschen wie eine Kurzgeschichtensammlung vorstellen. Jeder Song skizziert seine eigene Szene aus, manchmal nur, indem Casper als Ich-Erzähler durch ein Beziehungs-Drama führt, oft aber auch, indem er wie ein Reporter Zeit und Ort wechselt und für Songs wie "Billie Jo" oder die beiden "Die Vergessenen"-Teile von vorn bis hinten eine Geschichte herunterrappt. Für die Produktion holt er sich Max Rieger von All Diese Gewalt und Die Nerven heran, der Casper sein am kohärentesten nach Indie klingendes Album kredenzt. Zwar liegt der Hip Hop irgendwo im Kern des Ganzen, aber stimmungstechnisch arbeiten wir hier mit Post Rock-Instrumentierung, nur ab und zu durch ein bisschen Electronica ergänzt.

Hier liegt ein erstes Problem: Das klingt alles zwar sehr beeindruckend und es ist schön, dass nach dem etwas fragmentierten "Lang Lebe Der Tod" ein bisschen mehr Einheit vorherrscht. Aber die Produktion trägt mir persönlich zu dick auf. Das Schöne am Post-Rock ist doch, wie langsam die großen Explosionen sich anbahnen. Die Dynamik. Dieses Album lässt sich keine Zeit. Es feuert Nonstop Drama, Nonstop Katastrophe, ein Klimax-Moment nach dem Anderen. Ohne Atemraum und Stille als Kontrast fühlt man sich, als würde die "Sad Moments Compilation" eines Films sehen.

Diese Dramatik spiegelt sich in Casper. Den Großteil des Albums klingt er, wie Casper eben klingt. Verzweifelt, grandios und laut mit seiner immer etwas überkandidelten Rockstar-Stimme. Aber wenn fast jede Line mit dem gleichen Pathos vorgetragen wird, fehlen die Nuancen. So klingen seine beobachtenden Lines dramatisch, seine erzählenden Lines dramatisch, seine dramatischen Lines dramatisch, und spätestens auf schwächeren Cuts kratzt es ein bisschen am Gesamtbild, dass sich Triumph, Verzweiflung, Anspannung und Unsicherheit in der fast gleichen Tonlage äußern.

Die zwei Lowlights dafür sind die sehr gefühligen Beziehungs-Tracks "Wo Warst Du?" und "Wolken", auf denen er am deutlichsten in reines Melodrama verfällt. "Wir wachsen auseinandеr, fühlst du das auch? / Tausend Elefanten vеrwüsten den Raum / Es wird antarktisch kühl und ich glaub' / Ich geb' auf" lautet zum Beispiel der Pre-Chorus von ersterer Nummer. Im Kern ist das Deutschpop-Melodrama, aber mit ungelenken Wortspielen und Metaphern vollgepackt, die es statt vielschichtiger nur sperriger machen. Das an sich wunderschöne Haiyti-Sample auf "Wolken" bietet sich eigentlich für einen Casper-Remix an, vor allem, weil der Originalsong schon in depressive Untiefen vorgestoßen ist. Aber ihr simples, aber einschlägiges Bild nimmt er nicht auf. Einmal mehr textet er nach dem Motto "viel hilft viel" und schmeißt ohne Faden oder Kohäsion Tod und Verderben durch den Part. "Ich warte, doch die Zeit läuft in Hundejahr'n / Hass und Liebe wechselt stundenlang im Sekundentakt" zum Beispiel, oder das irgendwie unfreiwillig komische Sprachbild "Ey, sag einfach nix, ja / Ramm den Fangzahn in mein Genick, ja, ja, ja / Deine Lippen sind Gift / Komm bitte wieder zurück". Drama, Baby!

Das dürfte wohl mein größtes Problem sein: Die Texte überzeugen mich nicht. Aus dem Gesang kennt man ja das Phänomen des Übersingens, weniger geläufig ist das literarische Pendant des Über-schreibens. So sehr man Casper auch die Kudos geben muss, sich an große Themen heranzuwagen und ambitioniert zu texten, verdammt, auf diesem Album schafft er es, gleichzeitig plump und überkompliziert zu schreiben. Ein Beispiel findet sich mit dem Song "Zwiebel & Mett (Die Vergessenen Pt 3)", der genau wie "Das Bisschen Regen (Die Vergessenen Pt 4)" so viele Sachen auf einmal angreift, dass es genuin schwerfällt zu verstehen, wo wir uns gerade eigentlich verorten sollen. Die Szene klingt mit Fernseh-Predigern und Waffen eher nach Amerika, dann geht es doch um Greta und rumänische Hunde.

Am Ende klingt das alles eher wie ein typischer Songs gegen rechtes Dorfleben am Einweggrill. Aber wieso genau wird das auf der Interpolation von Nirvanas "Heart-Shaped Box" mit dem als euphorisch gesungenen "und wie fahren zur Hölleee" dargeboten? Identifiziert man sich jetzt mit diesen Leuten? Klingt nicht gerade so. Irgendwie merkt er nicht, dass sein Alman-Memes-Strohmann vorne und hinten nicht zusammenpasst, weil die Leute, die jeden Sonntag in die Kirche gehen, sich vermutlich nicht erzählen "wer wen fickt" und die Anti-Greta-Grill-Fraktion vermutlich nicht so viel mit Armageddon-Schildern zu tun hat. Hammer-Beobachtungen wie "der Kegelklub hetero / die Revolution riecht nicht wie Diesel, der brennt/ sondern nach Zwiebeln und Mett" schaffen auch nicht gerade Klarheit. Komm schon, deutsche Dorfnazis sind doch nun wirklich kein so komplizierter Gegner. Wo ist der Fokus?

Auffällig ist dieses Über-Texten auch auf "Billie Jo", bei dem es mir leid tut, weil ich mir erklären ließ, dass das Mordopfer, das diesen Song inspirierte, tatsächlich Caspers Cousine sei. Hier geht es um einen von PTSD zerfressenen, tiefgläubigen Amerikaner, der nach dem Irak-Krieg in eine Sinnkrise verfällt und schließlich sich selbst und seine Familie tötet. Harter Tobak, die auch im ersten Part technisch beeindruckend eingeleitet wird. Aber der voran geschobene Interlude will die Frage nach dem Sinn stellen, und je mehr Casper an der tatsächlichen Psyche dieses Mannes herumtänzelt, desto mehr verfällt er in Allgemeinplätze, Phrasen und Klischees. Offensichtlich hat Casper weder zu Krieg noch zu PTSD irgendeinen Bezug und entsprechend kommt er kein bisschen an diesen hochkomplizierten Charakter heran. Ja, das Instrumental versucht, die Betroffenheit mit allen Film-Soundtrack-Tricks zu illustrieren, aber gefühlt bleibt das Erzählte trotzdem verdammt weit weg. Und sollte ein Rapsong in so einem Fall nicht mehr leisten als ein Tagesschau-Bericht?

Man merkt Casper übrigens an, wenn er sich mit einem Thema leichter tut. Der leuchtende Closer "Fabian" ist der beste Song. In einer direkten Zwiesprache mit einem engen Freund erzählt er dessen Leukämie-Erkrankung nach, spricht darüber, wie er sich über lange Texte von ihm freut, weil sie zeigen, dass es gerade geht. Und auf einmal kommt der Text so leicht und so emotional direkt daher: "Die Diagnose Euphorie / Nie wieder Leukämie" schließt er ab und trifft emotional ins Schwarze. Casper wirkt hier den ganzen Song so involviert und so einfühlsam, man möchte direkt wieder wie 2011 ins Schwärmen geraten.

Auch sonst gefallen mir die Banger mit am meisten. Also, Banger im relativen Sinne, immerhin handeln Songs wie der Titeltrack oder das Tua-Feature "TNT" ja auch von Depressionen und Bipolarität. Aber verdammt, sie klingen einfach sehr gut, sei es durch Tuas fantastische Hook oder die Instrumental-Explosionen. Angenehm gestalten sich auch Representer wie "Gib Mir Gefahr" oder das selbst beweihräuchernde "Lass Es Rote Rosen Regnen". Kein Flachs, letzterer ist einfach ein Drake-Song über Indie-Produktion und handelt davon, wie übertrieben geil Casper sein Leben findet.

Und wisst ihr was? Wenn er das so sieht, dann soll er sich bitte mehr von diesen Songs schreiben. Irgendwie steht ihm das gerade ganz gut. Natürlich ist geistige Gesundheit sehr komplex und Hochphasen und Tiefs können sehr nah beieinanderliegen. Aber irgendwie wirkt Casper dieses Mal lebendig, einfühlsam und euphorisch in den beschwingten Songs – und rackert sich dagegen ab, diese tiefschürfenden, traurigen Storyteller zu konstruieren. Er wollte den Klassiker, also hat er diese Songs geschrieben, architektonisch bis ins letzte Detail geplant, bis zum letzten Winkel mit literarischen Anspielungen und Gospelchören vollgestopft. Aber vielleicht wäre hier ein bisschen weniger doch mehr gewesen.

Trackliste

  1. 1. Alles War Schön Und Nichts Tat Weh
  2. 2. Lass Es Rosen Für Mich Regnen (feat. Provinz & Lena)
  3. 3. TNT (feat. Tua)
  4. 4. Billie Jo (Prelude)
  5. 5. Billie Jo
  6. 6. Zwiebel & Mett (Die Vergessenen Pt 3)
  7. 7. Das Bisschen Regen (Die Vergessenen Pt 4)
  8. 8. Wo Warst Du?
  9. 9. Mieses Leben / Wolken (feat. Haiyti)
  10. 10. Gib Mir Gefahr (feat. Felix Brummer)
  11. 11. Euphoria (feat. Teute)
  12. 12. Fabian

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22 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

  • Vor 2 Jahren

    ein schweres, weil "volles", gar überladenes Album. Daher sehr treffende, gute Review! Nichtsdestotrotz inhaltlich stark, weil analytisch, sozialkritisch und mutig. Der Sound schafft die dazu passende Atmosphäre...klar, hier und dort ein bissl zu viel Pathos, aber das ist nunmal Teil von Cas. Am Ende ein Album, in das viel investiert wurde...Zeit, Gedanken, Erinnerungen, Beobachtungen, Reflexionen und vor allem Liebe. 4/5.

  • Vor 2 Jahren

    Vorweg ich finde das Album sehr gut, und das Review dazu sehr nachvollziehbar.
    Ich muss sagen das mich persönlich gar nicht stört das dieses Album so "überladen" ist, es wirkt für mich eher so wie ein Rummel mit vielen verschiedenen Attraktionen.
    Was die Lyrik angeht bin ich eigentlich fast der gleichen Meinung. Eigentlich gut gelungen und mitreißen aber an machen Stellen etwas unklar.
    Trotzdem für mich 5/5 wenn man genau bewerten könnte eher 4,5/5.