laut.de-Kritik
Sie bleibt eine der Größten.
Review von Sven KabelitzDer Dokumentarfilm "I Am: Celine Dion" hat eine Hauptdarstellerin: Celine Dion. Er blickt auf ihre Vergangenheit und den Kampf, den die Kanadierin nun gegen die Autoimmunkrankheit Stiff-Person-Syndrom austrägt. Die seltene neurologische Autoimmunerkrankung äußert sich in stark erhöhtem Muskeltonus bis hin zu Krampfanfällen. Singen fällt ihr mittlerweile schwer, auf Tour zu gehen scheint nahezu unmöglich.
Der "I Am: Celine Dion"-Soundtrack hat hingegen zwei Hauptdarstellende: Celine Dion und Redi Hasa. Die Beiträge der Sängerin sind naturgemäß nicht mehr als ein Greatest-Hits-Album. Der aus Albanien stammende Cellist hingegen übernimmt mit sechs Stücken den Original Score. Als in seinem Heimatland das kommunistische Regime zusammenbrach, floh er zu seinem Bruder nach Italien. Mit im Gepäck: Ein vom Konservatorium in Tirana geliehenes Cello, der er das "gestohlene Cello" taufte. "Finde die Seele in jeder Note, die du spielst", übernimmt er als Mantra von seinem Mentor Einaudi. Diese beiden Extreme stehen sich auf "I Am: Celine Dion" gegenüber: Die überbordende Dion und der feinfühlige Hasa. Ein Konzept, das nie zusammen findet.
Dions Lieder bersten schier vor Können der brillanten, vielseitigen, stimmgewaltigen Sängerin. In der Leichtigkeit, in der sie selbst die schwersten Stücke wie ein Picknick wirken lässt, bleibt sie eine der Größten. Dabei umweht sie aber immer ein wenig die Aura einer etwas zu verbissenen Einser-Schülerin. Ein Vorurteil, mit dem der Film aufräumt.
Die Kanadierin zeigt sich – trotz des Reichtums und abgehobener Inneneinrichtung – als unerwartet sympathisch, humorvoll und geerdet. Der Erkrankung stellt sie sich tapfer, lässt sich von ihr nicht ihr Leben bestimmen. Abseits davon findet sie in ihrem abgeschotteten Leben noch viel Freude. In den schlabbrigsten Klamotten sieht man sie beim Spielen mit ihren Kindern, beim Saugen und beim Füttern ihres erkrankten Meerschweinchens. Awwww.
Nach der Doku mag man ihr Werk neu betrachten und bewerten, doch die alten Probleme bleiben bestehen. An der technischen Arbeit lässt sich nichts aussetzen. Alleine schon die "My Heart Will Go On"-Anekdote verdeutlicht dies. Dion wollte den Titanic-Song, ihren größten Hit nie singen. Schließlich überredeten Autor James Horner und ihr Ehemann und Produzent René Angélil sie dazu, wenigstens ein Demo davon aufzunehmen. Sie stimmte zu und nahm genau einen Take auf. Einen! Zack! Die Musik wurde neu arrangiert, aber noch immer hört man im Film ihre Demo-Aufnahme. Man mag von dem Lied halten, was man mag, ihre Leistung ist erstaunlich.
Leider bleiben Songs wie "Because You Loved Me" oder "I'm Alive" meist zu berechenbar und brav. Die glatt geschmirgelten, reichlich angestaubten 1990er- und 2000er-Produktionen nehmen den Stücken noch mehr Leben. Lieder ohne Ecken und Kanten, die jeder "Die 80er, die 90er und das Beste von heute"-Radiosender bis zum Erbrechen und darüber hinaus spielte und die der Sängerin eher im Weg stehen. "The Power Of Love" war schon von Jennifer Rush schlimm. Der Ike & Tina Turner-Klassiker "River Deep, Mountain High" stirbt einen unwürdigen Musical-Tod.
Ihre Stärke liegt eigentlich in klassischen Chansons, wie spätestens ihr Gänsehaut-Auftritt bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris eindrucksvoll zeigte, bei dem sie Edith Piafs "L'Hymne À L'Amour" sang. Französische Stücke wie "Zora Sourit" deuten dies hier aber nur im Ansatz an. "Je Crois Toi" zählt zu den wenigen Highlights.
Wirklich schlimm fällt ihr Rock-Ausflug "J'irai Où Tu Iras" aus, bei dem der ehemaligen Eurovision Song Contest-Gewinnerin der französische Singer/Songwriter Jean-Jacques Goldman zur Seite steht. Es klingt wie die schlimmstmögliche Version der Rodgau Monotones. Die reinlichste Version von "St. Tropez Am Baggersee". "All By Myself" erhält im Film und darüber hinaus durch den Tod ihres Ehemanns eine weitere emotionale Tiefe. Das Fehlen des Siegfried & Joy-Songs "It's All Coming Back to Me Now" gleicht einem Affront! Nicht nur ihr, sondern auch eines von Jim Steinmans besten Liedern.
Natürlich lässt sich nach dem Sehen von "I Am: Celine Dion" argumentieren, dass es Dion dank ihres Status besser geht als anderen Menschen, die an ebensolchen Krankheiten leiden. Die meisten von uns haben nicht im Ansatz ihre Möglichkeiten, um aufzufangen zu werden. Doch wenn es einem schlecht geht, spielt Reichtum kaum eine Rolle. Zudem dient sie mit ihrem nun offeneren Umgang mit der Krankheit nun als Rollen- und Vorbild, schafft Aufmerksamkeit für diese seltene Krankheit und hilft so der Forschung und letztendlich weniger gut gestellten Menschen.
Letztendlich überzeugen jedoch Hasas gefühlvollen Instrumentalstücke am meisten. In Tracks wie "Main Theme - Artist Always" und "Talea" setzt er mit emotionalen und nachdenklichen Tönen die Geschichte der Kanadierin geschickt in Szene. Mit deutlich weniger Spielzeit, gehört "I Am: Celine Dion" eigentlich ihm. So bringt der Film Hasas, dessen letztes Album "My Nirvana" aus Nirvana-Coverversionen bestand, eine neue Bekanntheit außerhalb seines Schaffensfelds. Am Ende steckt trotz all der Traurigkeit und Tragik, die die Doku mit sich bringt, auch viel Gutes in ihr.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Bei Olympia kam alles vom Band, aber das ist völlig zu verzeihen - selbst kerngesunde Musiker spielen da in aller Regel nicht live.
"kerngesunde Musiker spielen da in aller Regel nicht".
There, IFTFY.
sie sollte mal cel(ine)o&abdi(on) featuren