laut.de-Kritik
Westcoast-Latin und Elon Musk.
Review von Philipp KauseChuck Prophet hat sich im Laufe seiner bald fünf Jahrzehnte währenden Karriere aus dem Staub des Punk heraus vom Geburtshelfer des Wüsten-Rock und Proto-Stoner-Rocker über den Tex-Mex-Singer/Songwriter, irgendwo zwischen Surf, Grunge und Folklore, bis zum politischen Storyteller entwickelt. Dass Trump wieder Präsident wird, dürfte ihm alles andere als taugen - vergleicht man die Stoßrichtung des Videoclips zu seiner letzten Scheibe. Populismus und Vereinfachung sind nicht die Sache des experimentierfreudigen und ewigen Underground-Künstlers.
Doch dieses Mal lässt Chuck die schweren Themen beiseite. Denn er feiert sein zweites Leben, das ihm die Ärzt:innen geschenkt haben. Und so lautet das Motto vollmundig: "Wake The Dead"! In "Give The Boy A Kiss", einem smoothen Retro-Pop mit Surf-Gitarre und Doo Wop-Zitaten, taucht auch ein Arzt im Text auf, der folgendes Rezept ausstellt: "Gib dem Jungen einen Kuss."
Nach der niederschmetternden Diagnose eines Darmtumors mit Lymphdrüsenkrebs im fortgeschrittenen Stadium 2022 und erfolgreicher Therapie wollte der Westcoast-Musiker eine sonnige Platte in die Welt setzen. Hierfür vernetzte er sich im Umland San Franciscos mit der Hispanics-Szene. Die Kollabo mit ¿Quiensave? ergab Sinn, half ihm deren Musikstil doch, sich nicht nur als Patient zu fühlen. Cumbia war ihm schon vor der Erkrankung geläufig. Als es ihm dann dreckig ging, sorgte der Sound für positive Momente.
Cumbia ist ein lateinamerikanisches Rhythmus-Muster bzw. ein Oberbegriff für mehrere Stile aus Kolumbien - und ein Paartanz. Entstanden ist Cumbia im Kontext der Geschichte der Sklaverei und fusioniert - grob gesagt - westafrikanische Elemente mit indigenen Traditionen und spanischen Harmoniestrukturen sowie mit Instrumenten aus allen drei Kontexten. Primär ist Cumbia alles andere als traurig, sondern gemütliche bis dynamische Party-Musik in gesetztem Tempo.
Durch Migration breitete sich der Stil aus und diffundierte auch in die mexikanische Chicano-Garage-Funk-Szene der Siebziger Jahre (brillant zu hören bei "In The Shadows - For Elon") sowie die von Trump gehassten, illegalen Latino-Siedlungen an Kaliforniens Pazifik-Küste. Dort - in der nicht anerkannten Gemeinde Chualar mit gut 1.000 Einwohner:innen - lebt zum Beispiel Bassist William Cortez. Der gebürtige US-Amerikaner kann gut mit seinen vier ¿Quiensave?-Kollegen mit mexikanischem Hintergrund. Chuck Prophet traf diese in Salinas und versicherte, dass Cumbia seine Krebsheilung unterstützt habe: "Musik hat mich gerettet."
Chucks angestammte Begleitmusiker namens The Mission Express mischen auf "Wake The Dead" ebenfalls mit. Der Klang wirkt satt und verschmilzt mit kargem Wüstenrock. Neben den beiden Combos schunkeln am Akkordeon noch Cesar Herrera und Josh Baca mit - prägnant im Opener und Titelstück. Max Baca zupft die zwölfsaitige Bassgitarre Bajo Sexto, typisch für mexikanischen Sound.
Und das Konglomerat flutscht. "Wake The Dead" lässt sich mühelos und komplett in Dauerschleife hören. Es handelt sich nicht um jene Sorte Weltmusik, für die ein intellektueller Zugang, Sprach- und Kulturkenntnisse oder Toleranz für Verspultes bzw. für Stereotypen nötig wären. Man hört vielmehr sehr gute Autoren-Musik aus einem Guss.
Wie gewohnt slidet der 61-Jährige in genäselte Gesangsparts hinein, die ihn wie ein Double von Ray Davies erscheinen lassen ("Betty's Song"). Chuck zeichnet mit trockenem Witz Figuren nach, etwa jene Betty, aber auch eine Polizistin in "Sally Was A Cop", die zur Soldatin wird, oder das von Trump designierte Regierungsmitglied Elon Musk ("In The Shadows - For Elon"). Beim Texten unterstützte zuweilen Label-Kumpel Alejandro Escovedo sowie der Poet und Journalist Kurt Lipschutz: "Now everybody's gonna have to pay / when he rides his rocket ship away" - könnte sich bezüglich Elon bald bewahrheiten.
Manche Tracks zeigen Chuck von der eingängigsten Seite ("First Came The Thunder"). "Same Old Crime" mischt einen Reggae-Beat unter Cumbia-Rock. Sogenannte 'Blast-Off-Refrains', wie Chuck sie im Gespräch mit dem UK-Magazin Uncut erwähnt, prägen und dominieren die Platte. Damit sind wohl recht plakative Akkordfolgen, garniert mit einfachen "Oh ho oh hos" und "sha-la-las" gemeint.
Während sich das Cumbia-Genre in den vergangenen 20 Jahren auf manchmal witzige Weise Electro-Spielarten und Hip Hop öffnete, zeigt es sich bei Chuck Prophet schillernd akustisch und ohne traditionelle Blechbläser. Der Haltung des Albums gemäß - "It's A Good Day To Be Alive" - bestätigt die Scheibe Chucks Dankbarkeit. Er klingt erleichtert und spielt locker auf. Der Routinier liefert mit großer Besetzung eine der am wenigsten erwartbaren und tollen Platten des Jahres: überraschend, quirlig und doch tiefenentspannt.
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