laut.de-Kritik

Song für Song macht sich Ernüchterung breit.

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Man möchte ungern in Cordaes Haut stecken: Kaum ein Debütalbum schlug im Hip Hop in den vergangenen Jahren so hohe Wellen wie "The Lost Boy". Da war es, das Wunderkind der neuen Generation, das sich die Traditionalisten der Genres seit gefühlt dem Beginn der letzten Dekade herbeisehnten. Der Messias, der Rap am Höhepunkt des Soundcloud-Hypes wieder lyrische Tiefe gibt, ohne, dass die Musikalität darunter leiden muss. Auf ihn konnten sich ausnahmslos alle einigen: Der Junge hat wahnsinniges Talent, das ist guter Hip Hop.

Das Problem an der Sache: Wer dieses Label auf dem Kreuz trägt, der verspürt den immensen Druck, ihm wieder und wieder gerecht zu werden. "The Lost Boy" tat dies in solchem Maße, dass ein angemessenes Follow-Up eine noch viel größere Hürde darstellt. Drei Jahre hat sich Cordae dafür aufgewärmt und weitestgehend aus der Öffentlichkeit ferngehalten. Man bekam das Gefühl, dass sich ein wirklich einschneidender Moment in der modernen Hip Hop-Landschaft anbahnen könnte, der Titel 'Instant Classic' wurde schon vorzeitig in den Raum geworfen.

Zu Beginn gibt einem "From A Birds Eye View" in der Tat das Gefühl, dass man gerade einem Konzeptalbum lauscht, das dafür bestimmt ist, Großes zu erreichen. "Shiloh's Intro" legt mit einem aufwühlenden Freestyle eines inhaftierten Freundes von Cordae ein vielversprechendes Fundament, an dessen finale Worte "Jean-Michel" mit emotionalen Fanfaren anknüpft.

Und dann? Ja dann macht sich Song für Song die Ernüchterung breit. Kein Klassiker, kein Meisterwerk, selbst das Konzept, mit dem Cordae in den ersten beiden Songs anlockt, führt nirgends hin. Am Ende wird "From A Birds Eye View" als ein durch und durch mittelmäßiges Rap-Album in die Geschichtsbücher eingehen.

Das liegt einerseits daran, dass Cordae sich selbst nicht sicher zu sein scheint, was er mit diesem Album eigentlich bezwecken will. Lyrisch gehen die auf Inhalt ausgerichteten Tracks nie tief genug, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Und die Songs, in denen er bewusst seine Bescheidenheit kurz vergisst, um das neue Leben zu feiern, das ihm der Erfolg ermöglicht hat, verlieren ihr Momentum oft noch vor der zweiten Hook. Dass sich diese beiden Blaupausen für das meiste Material auf "From A Birds Eye View" dann eher im Weg stehen, als parallel zueinander zu verlaufen, lässt die Tracklist inkonsequent wirken.

So folgt beispielsweise mit "Super" auf das großartige "Jean-Michel" eine austauschbare Ego-Streicheleinheit auf Trap-Beat, die musikalisch zu uninteressant tönt, um davon abzulenken, dass Prahlen nicht gerade zu Cordaes Stärken gehört. Es sei ihm vergönnt, mit einer Coca Cola-Werbung Millionen gescheffelt zu haben und spät nachts mit Twitterboss Jack Dorsey zu chatten. Nur: Daraus einen Song zu machen, war keine sonderlich gute Idee.

Das andere große Problem ist, dass Cordae die Ambitionen, die ihm jeder (inklusive er selbst) für dieses Projekt in den Mund legte, vollkommen abhanden gekommen sind. "From A Birds Eye View" will gar nicht herausstechen. Man bekommt man das Gefühl, er will es sich so unauffällig wie möglich zwischen J. Coles "The Off-Season" und Logics "Everbody" als nächstes aufgeblasenes, lyrisches Nichts bequem machen, in der Hoffnung ja nirgends anzuecken. Das schafft das Album auch, jedoch nur zu seinem Nachteil.

Völlig im Ton vergreift sich Cordae dennoch höchstens auf dem erwähnten "Super" oder der ungelenken Gunna-Kollabo "Today". Der große Rest seines zweiten Langspielers ist solide, mehr nicht. Das musikalische Äquivalent von trockenem Brot: In der Not macht es satt, aber wer würde darauf zurückgreifen wollen, wenn nur ein Klick entfernt ein ganzes Buffet an Köstlichkeiten wartet.

Selbst die Featuregäste stecken sich mit dieser Durchschnittlichkeit an. Freddie Gibbs liefert auf "Champagne Glasses" einen seiner schwächsten Verses der letzten Jahre, Stevie Wonders Outro auf dem gleichen Song ist nicht der Rede wert, und Eminem macht den Bonustrack "Parables" mit jeder Sekunde, die er am Mic verbringt, unerträglicher. Einzig Lil Wayne überrascht und erhebt "Sinister" zu einem der spärlichen Highlights.

Wenn sich Cordae dann doch mal aus seiner Komfortzone heraustraut, etwa, wenn er sich auf "Chronicles" von H.E.R. singt, geht das erstaunlich souverän über die Bühne. Solche Momente helfen, die Monotonie der Tracklist aufzubrechen und erinnern daran, wieshalb Cordae vor drei Jahren als versatiler Wunderknabe in den Himmel gelobt wurde. Das gilt auch auch für den Closer "Westlake High". Obwohl der Song auf dem Debüt des 24-Jährigen wohl kaum aufgefallen wäre, setzt er hier einen versöhnlichen Schlusspunkt, der einen wieder ins Grübeln bringt, zu was dieser Kerl eigentlich fähig wäre, wenn er sein volles Potenzial entfaltet.

Über einen viel zu großen Teil der Laufzeit von "From A Birds Eye View" macht Cordae allerdings das genaue Gegenteil: Nahezu dasselbe wie auf seinem letzten Langspieler, nur eben mit halb so viel Drive, Charisma und Spaß an der Sache. Die bittere Erkenntnis: "The Lost Boy" liegt nunmehr drei Jahre zurück, aber so richtig gefunden hat sich Cordae scheinbar immer noch nicht. Noch sind die Vorschusslorbeeren nicht komplett verspielt. Aber allzu lange kann er sich auf den Qualitäten seines Erstlings nicht mehr ausruhen.

Trackliste

  1. 1. Shiloh's Intro
  2. 2. Jean-Michel
  3. 3. Super
  4. 4. Momma's Hood
  5. 5. Want From Me
  6. 6. Today (feat. Gunna)
  7. 7. Shiloh's Interlude
  8. 8. C Carter
  9. 9. Sinister (feat. Lil Wayne)
  10. 10. Chronicles (feat. H.E.R. & Lil Durk)
  11. 11. Champagne Glasses (feat. Freddie Gibbs & Stevie Wonder)
  12. 12. Westlake High
  13. 13. Parables Remix (feat. Eminem) (Bonus)
  14. 14. Gifted (feat. Ant Clemons & Roddy Ricch) (Bonus)

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1 Kommentar

  • Vor 2 Jahren

    Ich fand das letzte Album schon sehr langweilig. So vorbildlich lyrische Texte und vorbildlich organische Beats, aber irgendwie lässt es einen in seiner Perfektion alles kalt. Wie früher Common. Alle Kritiker feiern es, alle Hörer respektieren es, aber am Ende hört sich die Musik dann doch niemand an.