laut.de-Kritik

Kleinen Momenten Magie abgetrotzt.

Review von

Aus dem Niemandsland australischer Singer/Songwriter-Abstrusität stapft eine mutige Frau mit großen Schritten heraus. Mit burschikosem Gesang und eigenwilligen Gitarren hebt sich Courtney Barnett ab. Von allem, was nach Beachtung lechzt oder Spektakel sucht.

Die 26-Jährige im casual Jeans-Look fährt lässig die Ellbogen aus und lässt Zweifler an ihrem Ego gar nicht erst zu Wort kommen. Denn die exaltierte Sängerin phrasiert, flowt und rappt nahezu ohne Unterlass. Die Stimme ist der Pulsschlag ihrer Songs. So kann die schlicht arrangierte Rhythmus-Sektion ganz unbeschwert den Beat anleiern, dessen Versmaß die Dame von Down-Under mit ihrer Situations-Lyrik gekonnt strapaziert.

Dabei mutet sie zuweilen wie das post-punkige Pendant zu M.I.A. an und holt dann wieder unangestrengt und mit klarer Stimmfarbe zu Yo La Tengo-ähnlichem Slowcore-Chorus aus. Überhaupt erzählt diese Frau mit einer Selbstverständlichkeit von Zwischenmenschlichkeit, die sich nicht in Pathos erschöpft, sondern in Origami, dem verkommenen Great Barrier-Reef und ironischer Irrelevanz. Obwohl sie dem Hörer mit ihrem kessen Akzent so viel Gebrabbel wie Art Brut zumutet, hört man ihr mehr zu als den redundanten Worthülsen penetranter "Boy Meets Girl"-Prediger. Wahrscheinlich glaubt man Barnett deshalb auch jede Silbe, die sie über schrullige Power-Grunge-Riffs streut.

Oft dient eine unbekümmert dümpelnde Bass-Line als Aufhänger für die darüber krebsenden Gitarre-Figuren, die nicht selten wie improvisierte Skizzen wirken: Rustikal, rough und trotzdem irgendwie malerisch. So etwa im grotesken "Small Puppies", durch das sich lose grätige Tremoli schrauben. Seit den Strokes fällt es schwer, Gute Laune-Pop so positiv zu konnotieren, Songs wie "Dead Fox" gelingt das ganz unabsichtlich. Doch selbst die kindlichsten Melodiebögen, die auch der weichen Feder der Cardigans entstammen könnten, schrammen niemals an Banalität entlang, sondern werden durch die Beiläufigkeit emanzipiert, mit der Barnett selbst Zeilen wie "Don't jump off that roof" aus der Lende schüttelt.

Dabei versteckt sich hinter der latent lethargisch bis görenhaft pissig vorgetragenen Poesie keineswegs nur Klamauk oder Kabarett. "An Illustration Of Loneliness" zeigt, wie ehrlich Vermissen mit kleinen Gesten und einem grandiosen Groove vertont werden kann. Wehleid, Hadern oder melodramatisches Over-Acting stünden der straighten Newcomerin auch gar nicht. Dazu zeichnet sie Szenarien viel zu fein, umschreibt viel zu pittoresk und nimmt für die vielen versteckten Details die zartbehaarten Pinsel. Von einer Weichzeichner-Produktion könnte der autarke Sound hingegen nicht weiter entfernt sein.

So steht da am Ende ein Debüt, das sich unaufdringlich mitten ins Alltags-Leben des Hörers pflanzt und kleinen Momenten Magie abtrotzt. Barnetts Narrativ beleuchtet auf illustre und inspirierende Weise Neben- statt Hauptschauplätze und krempelt abgedroschene Motive konsequent nach innen. "Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit" bläst einen herrlich frischen Wind durch die Riege an Power-Frauen mit Gitarren und schürt Vorfreude auf Kommendes.

Trackliste

  1. 1. Elevator Operator
  2. 2. Pedestrian at Best
  3. 3. An Illustration of Loneliness (Sleepless in New York)
  4. 4. Small Poppies
  5. 5. Depreston
  6. 6. Aqua Profunda!
  7. 7. Dead Fox
  8. 8. Nobody Really Cares If You Don't Go to the Party
  9. 9. Debbie Downer
  10. 10. Kim's Caravan
  11. 11. Boxing Day Blues

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5 Kommentare

  • Vor 9 Jahren

    Für mich sind es viereinhalb Sterne mit steigender Tendenz. Seit dem Fiona Apple Tipp von Kubischi hat mich kein Album einer Sängerin mehr derart in seinen Bann gezogen.

  • Vor 9 Jahren

    ja, tendiert für mich auch zu einer 5/5 (auf der laut-skala wohlbemerkt). einfach ein tolles album! sehr unbekümmert und unaufgeregt, trotzdem mit genügend tiefe. das album wird in der review auch gut eingefangen.

  • Vor 9 Jahren

    Ich empfange Sheryl Crow - vibes. (es gibt schlimmeres)

  • Vor 9 Jahren

    Ich empfange Sheryl Crow - vibes. (es gibt schlimmeres)

  • Vor 9 Jahren

    Wie so oft - wers mag sieht die Magie der kleinen Momente, wer nicht eher klassisches First-World-Problems-Geseier.
    Glücklicherweise zähle ich (zugegeben, nach kurzer Eingewöhnungsphase) eindeutig zur ersten Fraktion, mein persönlicher Liebling ist gleich die erste Nummer, aber fast jeder Song hat so seine Zeilen und/oder Momente.
    Mein untertänigster Dank gebührt dem Erwin-Ehrenmann-Preisträger 2015, der die Trommel so fleißig gerührt hat. :kiss:
    Ach ja, sehr stimmige Rezi auch, nur dass da als Beispiel für den beschriebenen Gute-Laune-Pop außgerechnet "Dead Fox" steht, finde ich doch zumindest eigenwillig.