laut.de-Kritik

Das Leben ist grausam schön.

Review von

Das Lineup der Band aus Toronto ist seit ihrer Gründung 1985 unverändert. Um so erstaunlicher angesichts der Tatsache, dass drei der vier Mitglieder Geschwister sind und das vierte ein Freund seit der Kindheit. Knapp 40 Jahre musizieren Margo (Gesang), Peter (Schlagzeug) und Michael Timmins (Gitarre) sowie Alan Anton (Bass) nun miteinander. Wie sie das hingekriegt haben? Vermutlich halfen eine klare Arbeitsteilung - Michael ist der unangefochtene Chef und Songschreiber - und der unbedingte Glaube an die eigene Musik. Kommerzielle oder künstlerische Kompromisse haben die Cowboy Junkies stets ausgeschlossen.

Nach "Ghosts" (2020), das den Tod der Mutter zum Thema hatte, beschäftigt Michael diesmal die Erkrankung und der Tod des Vaters. "I woke up this morning / I didn't know who I was / I looked at the room / And didn't know where I was / Or if I ever was" singt Margo gewohnt unaufgeregt in den ersten Zeilen, begleitet von einer sachten Instrumentierung. Nach und nach wird ihre Stimme allerdings von einem Gitarrendröhnen überlagert, fast schon verdrängt, das die Verwirrung im Kopf des Erzählenden eindrucksvoll darstellt.

Lichte und düstere Momente wechselten sich in den letzten Monaten des an Demenz erkrankten Vaters ab. "Erinnerungen an seine Flugtage als Buschpilot im Norden Quebecs, seine Liebe zum Jazz und seine Erfahrungen, die großen Big-Bands der 50er Jahre zu sehen, fanden ihren Weg in unsere Gespräche. Ich dachte oft über all diese Erinnerungen und Erfahrungen nach, die langsam von der Demenz aufgefressen wurden und schließlich mit seinem Tod völlig verschwinden würden". Der Ich-Erzähler ist eine Mischung aus Vater und Sohn. "Zeilen wie 'This is what I lost' und 'I can sit here and wait' handeln nicht so sehr von ihm, sondern von mir", so Michael.

Zum Song hat Peter ein Video gedreht, in dem der Vater auf dem Sofa sitzt, während er Duke Ellington hört. Erinnerungsfetzen kommen auf, in Form von Familien-Super 8-Filmen und Fotos aus den 1950er Jahren. Eine schöne Hommage.

Die Klangmalerei im Opener prägt auch weitere Stücke des Albums. "Dies ist eine andere Art von Aufnahme; sie hat eine größere Dichte. In vielerlei Hinsicht werden die Musik, die Wahl bestimmter Strukturen und die verwendeten Töne für die Vermittlung der Themen des Albums genauso wichtig wie die Texte. Die Songs sind Ausdruck von Mikes Seele", so Margo. "Flood" erinnert in einer gewissen Weise an Memphis Minnies "When The Levee Breaks" in der Interpretation Led Zeppelins (der letzte Track auf "IV"). Einerseits wegen des Titels, auch wegen den verzerrten Gitarren und der klaustrophobischen Stimmung, die das Lied erzeugt.

"Hard To Build, Easy To Break" fällt entspannter aus, im Wesentlichen getragen von Alan Antons Bass und Michaels Wah-Wah-Effekt. Wie gewohnt schimmert immer wieder Lou Reed durch, auch wenn die Musik der Cowboy Junkies nicht so knochentrocken ist. Wie gewohnt floss sehr viel Arbeit in die Arrangements, Margo und Michael übten den Gesang auch intensiv ein, bevor es in Studio ging.

"Circe And Penelope" ist eine schmachtende Ballade mit dezenter Geigen-Einleitung, Natalie Merchant-style. Doch können die Junkies nach wie vor auch ganz leise. "Hell Is Real" ist ein Folk-Stück, das auch von dem befreundeten, verstorbenen Singer/Songwriter Vic Chesnutt stammen könnte. "I'm scared and I'm lonely / I'm scared and I'm empty / Jesus is coming, ready or not", singt sie fast schon schon verführerisch. Eines der besten Stücke.

Seite B (denn Vinyl ist hier das bevorzugte Medium) beginnt mit "Shadow 2" und Keyboardstreichern recht entspannt, auch wenn es thematisch an den Opener anknüpft. "Knives" ist mit einem ruhig gespielten, aber gutem Gitarrenriff ein weiterer Höhepunkt. Auch hier treibt ein unaufdringlicher Bass das Lied vorwärts. "Mike Tyson (Here It Comes)" dagegen mischt verschiedene Elemente voriger Lieder und klingt etwas einfallslos. "Blue Skies", das interessanterweise den Titel von T.C. Boyles aktuellem Roman trägt, ist eine klassische Ballade mit Akustikgitarre, Margos schmachtender Stimme und stimmungsvoller Keyboardunterstützung. Ein versöhnlicher Abschluss also.

Aus Leid entspringt Schönheit - umkehrt aber auch, so das Fazit. Oder, wie Margo Timmins erklärt, "Mensch zu sein beinhaltet großen Schmerz und Elend, aber auch große Freude und Trost. Es gibt für mich nichts Demütigenderes als die grausame Schönheit, in der wir leben, einschließlich des Lebens und des Todes.". Das Leben ist grausam schön - such ferocious beauty.

Trackliste

  1. 1. What I Lost
  2. 2. Flood
  3. 3. Hard To Build. Easy To Break.
  4. 4. Circe and Penelope
  5. 5. Hell Is Real
  6. 6. Shadows 2
  7. 7. Knives
  8. 8. Mike Tyson (Here It Comes)
  9. 9. Throw A Match
  10. 10. Blue Skies

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