laut.de-Kritik
Seien wir ehrlich: Mehr Sex war nie!
Review von Michael SchuhWie formulierte es einst ein singender Philosoph? "Italienische Discomusik zählt zu den großen unerforschten Gebieten. Es ist brillant, weil es wie Punk ist. Es ist voller dummer und verrückter Ideen und es hat diese wunderschönen traurigen Melodien, unterlegt mit einem Discobeat."
Und also sprach im Jahre 1985 Neil Tennant, die bis heute von elektronischen Stil-Ästheten verehrte graue Eminenz der Pet Shop Boys. So unerforscht wie vor 22 Jahren ist die italienische Discomusik heute freilich nicht mehr, was der Definitionsmacht des Zitats keinen Abbruch tut.
Und überhaupt: Daraus nun zu schließen, dass jeder dahergelaufene Tech House-Freak mit der "You Spin Me Round"-Maxi im Plattenschrank das Schaffen eines Mr. Flagio oder das der Space-Legende Hypnosis musikhistorisch einzuordnen weiß, wäre in etwa so vermessen, wie Donna Summers Pionierleistungen fürs Italo Disco-Genre zu leugnen.
Welch irdisches Glück also, dass wir unseren elektronischen Körper-Professor aus Altenmarkt unter uns wissen. Mit der abgeklärten Routine, die nur einer aufbringen kann, der die Zeit selbst miterlebt hat, spielt DJ Hell hier in 78 derben Minuten den Muskelmann und lässt ganz nebenbei noch ein Genre wieder aufleben, das für so manch heiße Disco-Nacht heutzutage Pate steht.
Und seien wir ehrlich: Mehr Sex war nie. Alleine die Schnauzbart-Mode jener Zeit - ohne den Italo Disco-Soundtrack eigentlich undenkbar. Dumme und verrückte Ideen, um noch einmal auf Professor Dr. Tennant zurück zu kommen, finden sich somit auch in Helmut Geiers Best Of-Programm zuhauf (Vangelis auf Discobeats, das geht nicht ohne Vollmeise!)
B.W.H.s "Livin' Up" eröffnet den glamourösen Dance-Reigen mit einer genehm pluckernden Portion '83er Style, bevor das eigentlich sechsminütige "Spacer Woman" schön hedonistisch als schnöde Überleitung zum Erotic Disco-Hammer "I Feel Love" missbraucht wird. Sequencer dieser Welt, hierfür wurdet ihr erschaffen!
Die als Parodie auf das französische Stöhnmanifest "Je t'aime (moi non plus)" (Gainsbourg) komponierte Meisterleistung geht aufs Konto des damaligen Münchner Star-Produzenten Giorgio "Munich Disco" Moroder, der die ansehnliche Ex-Backgroundsängerin Donna Summer über Nacht als Disco Queen etablierte. Wer könnte dessen Verdienste also besser würdigen als Münchens living Disco-Machine Hell? Auflegen tut er freilich die Patrick Cowley-Version von '82.
Später in der Nacht kommt Moroder in Form des majestätischen Tracks "Chase" auch solo zu Ehren. Zuvor sorgt aber Klaptos "Mister Game"-Instrumental für aufgeregte Tanzboden-Verrenkungen und lässt uns Mr. Flagios "Take A Chance" noch mal volle Breitseite an den Vorzügen des Vocoders schnuppern.
Der Auftritt von Tennant-Liebling Alexander Robotnick darf neben Gino Soccios "Remember" getrost als einer der Set-Höhepunkte bezeichnet werden, Cerrone bringt etwas Soul ins Spiel und die französische Version vom abgenudelten Trans-X-Heuler ist beinahe schon unfreiwillig komisch. Mit "Control" haut Hell dann noch einen eigenen Track raus, der sich dem Best Of-Programm selbstverständlich nahtlos anfügt.
"Je Regrette Everything": Mit "Ellboy" bekennt die Münchner DJ-Legende deutlich Farbe und portraitiert gekonnt ein Genre, das weit mehr als nur Dead Or Alive an Tanzbomben hervor gebracht hat. Verrückte Ideen führten schon so oft zu guter Popmusik. Wie wahr.
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