19. Juni 2009

"Ich wusste nicht, wer Ronson ist"

Interview geführt von

Auf den ersten Blick ein wenig unscheinbar, überzeugt Daniel Merriweather in dem Moment, in dem man ihn singen hört. Der derzeit schwer angesagte Produzent Mark Ronson nahm den 27-jährigen Australier für sein erstes Album "Love & War" unter seine Fittiche.Ein Abend im Frühling. Die schwülstige, aber gemütliche "Paradiso Tanzbar" in München. Hier hat Freddie Mercury einst wilde Partys gefeiert, als der Club noch "Henderson" hieß. Hier stellt der Newcomer Daniel Merriweather geladenen Musikjournalisten und Radio-DJs sein neues Album vor. Unter Kristalllüstern und auf einer kleinen Bühne, der eine überschaubare Tanzfläche mit 70er-Jahre-Disco-Leuchtquadraten vorgelagert ist.

Der Rahmen passt zum schicken roten Hemd und den schwarzen Hosen von Mark Ronson, der zuerst die Bühne betritt. Der 33-Jährige hatte zuletzt zusammen mit Amy Winehouse Furore gemacht. Er sei sofort begeistert gewesen als er vor einigen Jahren das erste Mal Merriweathers Stimme auf einem Demo-Tape gehört hatte, erklärt Ronson übers Mikrofon. "Sie erinnerte mich an Stevie Wonder." Der New Yorker Ronson war extra von seinem Zweitwohnsitz London angereist, um seinen neuen Schützling dem Publikum persönlich und medienwirksam vorzustellen. Und um ihn musikalisch zu begleiten.

Mit Ronson an der Gitarre, einem weiteren Gitarristen und einem Percussionisten stellt Merriweather schließlich ein Akustikset von sechs Songs aus seinem ersten Album "Love & War" vor, darunter auch die Single "Change". Eine Ausnahme bildet eine Coverversion des Smiths-Klassikers "Stop Me", eine Kollaboration von Merriweather und Ronson aus dem Jahr 2007, die es in England immerhin auf Platz zwei der Singlecharts geschafft hatte.

Mit ihrem Mix aus R&B, Urban und 60ies-Beats locken die vier Musiker das von Natur aus eher zurückhaltende Fachpublikum aus der Reserve und verbreiten gute Laune. Merriweathers Stimme hält, was Ronson versprochen hatte. Hier steckt viel Soul drin. Die erhoffte Zugabe kommt nicht. Vermutlich liegt es an dem Hangover, den Ronson offensichtlich aus London mit angeschleppt hatte. Auf jeden Fall sieht der wichtigste Mann hinter Merriweather sehr, sehr müde aus und ist nach der Show schnell verschwunden.

Am nächsten Tag findet dann das Interview mit Daniel Merriweather im "Hotel Bayerischer Hof" statt. Im Salon 14, der so ausschaut wie er klingt. Edelleute dürften sich hier früher zum Tee getroffen haben. Tee hat Merriweather am Abend zuvor wohl nicht getrunken. Er wirkt ein wenig erschöpft. Er habe nicht viel geschlafen, erklärt er lächelnd, schaltet aber trotzdem, ganz Profi, schnell auf den Gesprächsmodus um. Das Interview kann beginnen.

"Ich wusste nicht, wer Ronson ist"

Du kommst aus der australischen Metropole Melbourne, bist aber viel unterwegs. Wo hast Du denn momentan Deinen Lebensmittelpunkt?

Ich versuche natürlich so oft es geht, zuhause in Australien vorbeizuschauen, aber im Moment schaffe ich das kaum. Ich wohne in New York, in East Harlem. Aber ich verbringe auch viel Zeit in London.

Wie wichtig ist für einen Künstler die Atmosphäre einer pulsierenden Stadt wie New York?

New York ist eine großartige Stadt, um dort zu leben, weil sie so viele verschiedene Menschen zusammenführt. Fast jeder, den man dort antrifft, kommt von woanders her. Und die Künstler, die man kennen lernt, sind meistens sehr ambitioniert und sehr gut in dem, was sie tun. Natürlich vermisse ich Melbourne, aber New York ist für mich einfach praktischer, weil es auf dieser Seite des Äquators liegt (lacht).

In New York hat die musikalische Karriere für Dich erst richtig begonnen. Wie bist du dort eigentlich gelandet?

Mark Ronson hatte mich damals, vor etwa sechs Jahren, angerufen. Irgendwie hatte er mein Demo-Band in die Hände bekommen, von dem mehrere Kopien bei verschiedenen Plattenfirmen herumschwirrten. Ich war allerdings zu der Zeit gerade in Vertragsverhandlungen mit einem kleinen Independent Label in Melbourne. Ronson sagte zu mir am Telefon: 'Ich weiß, das klingt jetzt alles ein bisschen lächerlich, wir kennen uns gar nicht. Aber unterschreibe jetzt nichts. Komm nach New York. Ich würde Dich gern kennen lernen, weil mir Deine Musik gefällt.' Seitdem haben wir stets Kontakt gehalten. 2004 gründete Mark dann sein Label Allido Records, und vor zwei Jahren unterschrieb ich dort.

Dann war das aber eine sehr glückliche Fügung, dass Ihr Euch kennen gelernt habt. Ronson hatte vor sechs Jahren ja überhaupt erst mit dem Produzieren angefangen und war noch lange nicht so bekannt wie jetzt ...

Ja, er war damals eigentlich nur DJ. Ich wusste überhaupt nicht, wer er war. Ich glaube, er wusste damals selber auch noch nicht, wer er war (lacht).

Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit Mark Ronson vorstellen?

Beim Songwriting ist Mark nie dabei. Das ist nicht wirklich seine Baustelle. Ich schreibe oft mit anderen Freunden von mir Lieder. Ich liebe es generell mit Menschen zusammenzuarbeiten. Meistens entstehen die Songs an der Gitarre. Ich habe auch immer etwas zum Schreiben bei mir. Dann kann ich Gedanken oder Ideen gleich festhalten. Du weißt nie, wann Dir etwas Gutes einfällt. Die fertig geschriebenen Lieder spiele ich dann mit den Dap Kings ein. Das ist die Band, mit der Mark viel zusammen arbeitet. Er produziert die Titel am Ende und gibt ihnen den letzten Schliff.

Bei dem Song "For Your Money" spielt John Lennons Sohn Sean Gitarre. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Mark Ronson und er sind in New York zusammen aufgewachsen. Sean war immer mal wieder bei uns im Studio und so kam die Idee auf, dass er doch bei einem der Lieder mitwirken könnte.

"Ich mag Unfälle!"

Im Alter von vier Jahren hast Du Violine gelernt. Du hast ausschließlich nach Gehör gespielt. Kannst Du heute Noten lesen?

Nein. Ich mache alles über mein Gehör und mein Erinnerungsvermögen. Ich kenne immer noch jeden Ton der Stücke von Vivaldi und der ganzen großen Klassikkomponisten, die ich früher viel gespielt habe. Bei der Umsetzung dürfte es allerdings schwierig werden. Ich bin beim Geigespielen völlig aus der Übung.

Du hattest zwischenzeitlich Polypen auf Deinen Stimmbändern und konntest nicht mehr singen. Die ganze Situation muss sehr beängstigend gewesen sein, Deine Stimme ist schließlich Dein wichtigstes Instrument. Wie bist Du damit umgegangen?

Ja, das war sehr schlimm. Ich kam von einer Tour und merkte dann bei den Plattenaufnahmen, dass meine Stimme versagte. Schließlich musste ich operiert werden und durfte drei Wochen lang kein Wort reden. Nicht einmal Flüstern. In der Zeit habe ich viel mit meinem Blackberry oder mit Zettel und Stift kommuniziert. Ich habe den Leuten aufgeschrieben, was ich sagen wollte und es ihnen gezeigt. Als ich nach dieser Phase endlich wieder singen durfte, war das wie eine Befreiung. Da habe ich dann meine ganze Leidenschaft herausgelassen, all die angestauten Emotionen. Etwa die Hälfte des Albums "Love & War" ist nach diesem Zwischenfall aufgenommen worden.

Ist erkennbar, welche Lieder vor und welche nach der Operation aufgenommen wurden?

Nein, ich denke, das erkenne nur ich (lacht). Weder der Inhalt noch die Reihenfolge der Songs lässt da auf einen Zusammenhang schließen.

Deine Musik erinnert zum Teil an Songs von Künstlern, die in den 1960/70ern populär waren wie The Mamas & the Papas, The Fifth Dimension und die ganzen Motown-Produktionen. Ist das Dein musikalischer Background?

Nicht unbedingt. Ich höre eigentlich alles Mögliche, bin aber auch kein echter Plattensammler. Das allererste Album, das ich mir je gekauft hatte, war von Boys II Men "Cooleyhighharmony". Mit der Zeit habe ich immer mehr unterschiedliche Künstler entdeckt wie Stevie Wonder, Otis Redding, D’Angelo, Jeff Buckley, aber auch Jay-Z oder A Tribe Called Quest. Bei meinem Album wollte ich mich von Anfang an nicht auf ein bestimmtes Genre festlegen. "Cigarettes" klingt zum Beispiel ganz anders als "For Your Money", und doch haben beide Titel etwas gemeinsam. Gute Musik entsteht oft dadurch, dass verschiedene Stilrichtungen wie zufällig aufeinanderprallen. Wie ein Unfall. Ich mag Unfälle (lacht).

Dann hast Du wohl öfters Ärger?

Oh, manchmal sind Unfälle gut, manchmal können sie auch schlecht sein.

Du sagst, Dich nervt diese kurzatmige Popkultur, in der eine Platte ein halbes Jahr lang angesagt ist und dann wie im Erdboden verschwindet. Spielst Du da auf bestimmte Bands an oder worauf beziehst Du Dich?

Ich denke, das Problem heutzutage ist die Wegwerfgesellschaft. Alles kann schnell und billig ersetzt werden, im Internet gibt es vieles umsonst. Die Dinge verlieren ihren Wert. Auch in der Musikbranche. TV-Shows wie "American Pop Idol" (die US-Version von "Deutschland sucht den Superstar") tragen dazu bei. Da geht es nur ums Geld. Es werden falsche Erwartungen geweckt, worum es bei Musik eigentlich geht. Dass ein Gefühl, eine Botschaft vermittelt wird. Werden unsere Kinder jemals nachvollziehen können, was Musik einem Künstler wie Otis Redding, Aretha Franklin oder Bob Dylan bedeutet hat? Die haben mit vollem Herzen Musik gemacht. Was die Zukunft da bringen mag, macht mir schon Sorgen.

Aber vielleicht fördert die Wirtschaftskrise, in der wir stecken, auch wieder die Wertschätzung für bestimmte Dinge?

Ich glaube, dass es hilft, wenn kein Geld da ist. Je weniger wir unser Glück von Geld abhängig machen, desto besser. Durch die Krise geht es jetzt ans Eingemachte. Leute, die sich früher vor allem über Besitz definiert und jetzt kein Geld mehr haben, werden vielleicht umdenken. Aber ich will jetzt auch nicht predigen.

Deine Auffassung hat auch etwas mit Deiner Herkunft zu tun, oder? Du bist in Australien in einer Arbeitergegend aufgewachsen, Deine Eltern waren einfache Lehrer ...

Ja. Meine Großeltern väterlicherseits waren Missionare in Papua Neuguinea. So kam es, dass mein Vater meinen beiden Brüdern und mir beigebracht hat, dass Geld vor allem den Nutzen hat, Essen auf den Tisch zu bringen. Besitztümer spielten bei uns zuhause keine große Rolle.

Wie sehen Deine weiteren Pläne aus, kommst Du nach Deutschland auf Tour?

Ja, definitiv. Nach der Veröffentlichung meines Albums möchte ich im Sommer durch Deutschland touren. Ich liebe Deutschland. Ich bin jetzt das erste Mal hier und will unbedingt hier mehr Zeit verbringen und wieder Deutsch lernen. Ich hatte mehrere Jahre Deutschunterricht in der Schule.

Wie wird die Tour aussehen und durch welche Städte wird sie führen?

Das weiß ich noch nicht so genau. Wahrscheinlich werden wir an Orten oder Clubs spielen, die etwa 500 Leute fassen. Wenn es größer wird, fände ich das natürlich auch schön. Auf jeden Fall werde ich eine großartige Band dabei haben, mit neun Musikern. Da sind Bläser, Backgroundsänger, Bass, Gitarre und Schlagzeug dabei. Ich freue mich schon sehr darauf.

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