laut.de-Kritik
Mehr Burial als "Song 2": Das Solodebüt des Blur-Drummers.
Review von Rinko HeidrichDas Radio als Inbegriff von analoger Vergangenheit. So huldigte Queen-Schlagzeuger Roger Taylor dem klobigen Gerät bereits 1984 in "Radio Gaga" mit der Liebeserklärung "Radio, someone still loves you." Dave Rowntree empfindet bei diesem Thema ebenfalls eine Anziehungskraft, die aber in einer weitaus weniger kulturpessimistischen Anklage gegen Veränderungen gipfelt. Für Rowntree ist die Sendersuchleiste Metapher für eine Zeitlinie der Stationen seines Lebens mitsamt der zahlreichen Zwischengeräusche.
Das Solodebüt "Radio Songs" ist voll und ganz sein Baby. So ziemlich alle Instrumente spielte er selbst ein und frickelte in Eigenregie an den Synthesizern herum, um einen möglichst eigenständigen Electronica-Sound zu entwickeln. Ungezwungen und weit weg von Blur und den Erwartungen, die man eben an ein Mitglied der legendären Britpop-Gruppe üblicherweise so hat. Damon Albarn geht seinen eigenen Weg schon lange, mal poppig mit den Gorillaz oder klassisch-episch mit seinen Soloalben.
Im Gegensatz zur mittlerweile gebrochenen Trauerstimme des Blur-Sängers klingt Rowntree eher lakonisch, was zum langsamen, gespenstigen Score gut passt. So schwebt eine nachdenkliche Stimme in der ziemlichen bedrückenden Atmo von "Devil's Island", das mit den eiskalten Drum'n'Bass-Clicks und seiner Industrial-Stimmung kurz über dem Gefrierpunkt liegt. Viel mehr Burial als "Song 2"-Punk. Eine Fortsetzung der Arbeit also, die Rowntree schon für dystopische Netflix-Shows wie das Sci-Fi-Drama "The One" anfertigte. Der Song entstand in einer Songwriting-Session mit dem Berliner Musiker Bayuk.
Es ist ein ganz schön düsterer Planet, den Rowntree auf "Radio Songs" gebiert. "1000 Miles" von einem warmen Zuhause entfernt und voller Einsamkeit. Solche epischen Ambient-Brocken warf einem mitunter auch Damon schon vor die Füße und auch die Vorzeichen von The Waeve, Graham Coxons neues Projekt mit Rose Elinor Dougall, wirft bereits große und dunkle Schatten voraus. Der lausbubenhafte Sarkasmus über den Eigenheiten der Briten weicht immer mehr dem Ankommen in der grauen Realität, die so gar nichts Schönes an sich hat. Die Suche nach einem eigenen Weg außerhalb von Blur endet bei allen Mitgliedern bisweilen schwermütig.
"Machines Like Me" klingt mathematisch und auf präzisester Cold-Wave-Logik aufgebaut. Neo-Eighties zwischen Kraftwerk und Dead Can Dance. Also kein Wunder, dass Dave bevorzugt für ernste Filmarbeiten kühle Musik schreibt. "London Bridge" erinnert dann tatsächlich an die Melodie von Blurs "For Tomorrow". In der ursprünglichen Version von 1992 war der Song eine kritische Auseinandersetzung mit einem wirtschaftlich geschwächten System, eine sarkastisch formulierte Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Rowntrees Version der britischen Hauptstadt drückt jedoch eine Rastlosigkeit aus. Ein kleine, klare Post-Punk-Entladung inmitten des teilweise schleichenden Trip-Hop-Dunstes. Ansonsten benötigt der Hörer einige Aufmerksamkeit und Geduld mit diesem subtilen und mutigen Werk, das jegliche Anbiederung an den Pop-Mainstream vermeidet. Ein Album eines vielseitigen Musikers für alle Musiker*innen, weshalb Dave Rowntree wohl weiterhin eher unter dem Radar bleiben wird. Und dies vermutlich genau so wünscht.
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