laut.de-Kritik

Schönheit macht traurig.

Review von

"Ich definiere mich schon lange nicht mehr durch meine Herkunft, sondern weit lieber darüber, wo ich hin möchte." Eigentlich stammt David Lemaitre aus dem bolivianischen La Paz. Doch längst hat es ihn nach Berlin verschlagen. Dass "Latitude" als Album eines solchen Vagabunden nach südamerikanischer Schönheit und ein bisschen Weltschmerz klingt, das erscheint mit dieser Vorkenntnis wenig verwunderlich. Jedenfalls nimmt man dem jungen Singer-Songwriter jede Gefühlsregung ab.

Denn eine solche Platte voller gesäuselter Melancholie wie diese taucht ab in ein Meer voll dunkler Sehnsüchte. Es wird deutlich, dass sich der Mann in seinem Leben bereits oft mit Selbstfindung beschäftigt hat. So passt dann auch die Mehrdeutigkeit des Albumtitels "Latitude" ins Bild, was neben "Breitengrad" eben "Freiraum" bedeuten kann.

Also, auf geht's, Lagunentauchen mit Lemaitre. Das Flaggschiff "Megalomania" erinnert mit seiner lockeren Leadgitarre ein bisschen an den Darwin Deez von vor drei Jahren, wobei Lemaitres unaufgeregt herzlicher Gesang und clever eingestreute Percussion-Details dann doch etwas ganz Eigenes erschaffen. Mehr Gänsehaut-Momente folgen.

Stets klingen die Songs verdammt verträumt, fast ein bisschen wie das Knistern eines Lagerfeuers, jedoch eine reißende Südsee-Strömung vor Augen. So entpuppt sich Lemaitre bald als – und in diesem Fall muss einfach mal eine Glorifizierung herhalten – eine Art Hybrid zwischen Sufjan Stevens und Devendra Banhart. Wie Stevens gebraucht er die Weite Nordamerikas ("Lake Ontario") als Metapher für die Entfernung zweier Menschen zu einander. An anderer Stelle erweckt Lemaitre die manische Passion eines Banhart in sich zum Leben: Mal eher munter aufspielend wie in "Spirals", dann eher verwaschen, mit eingängigem Gitarren-Motiv und gezupften Geigen ("Jacques Cousteau").

Schließlich fängt der zweitletzte Song "Valediction" an, dieses feierlich-melancholische Folk-Album gebührend zu Grabe zu tragen. Die minimalistischen Gitarrenklänge des Abschieds verhallen im endlosen, aber für Lemaitre keineswegs zu großen Raum. Den Schluss macht das einzige Coverstück des Albums, Nick Drakes "River Man". Lemaitre orientiert sich an der schockierenden Ästhetik des Originals – und nimmt sich keineswegs zu viel vor. Wow.

Am Ende lässt "Latitude" den Hörer in wohliger Wärme, aber auch verstört zurück. Wie man diese Ambivalenz von Gefühlen glaubhaft abbildet? Lemaitre hat die Antwort: "Schönheit zu entdecken macht einen in gewisser Weise immer auch traurig."

Trackliste

  1. 1. Megalomania
  2. 2. Spirals
  3. 3. Magnolia (Girl With Camera)
  4. 4. The Incredible Airplane Party
  5. 5. Olivia
  6. 6. Pandora Express
  7. 7. Jacques Cousteau
  8. 8. Six Years
  9. 9. The Doctor's Wife
  10. 10. Valediction
  11. 11. River Man

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