laut.de-Kritik
Für ihre Grenzenlosigkeit muss man diese Band einfach lieben.
Review von Olaf SchmidtErinnert sich noch jemand an De Staat? Die sympathische kleine Band aus den Niederlanden, die vor etwa zehn Jahren auf der Bildfläche erschien und eine Mischung aus leicht abseitiger Rockmusik mit originellen Einfällen und leichtem Queens Of The Stone Age-Seitenschlag spielte? Diese Band gibt es nicht mehr. In der Zwischenzeit erforschten die fünf Männer aus Nijmegen neue musikalische Gefilde, entwickelten sich bald hierhin, bald dorthin und sind inzwischen zu einem Gesamtkonzept-Etwas mutiert. Songs, Videokunst und abgedrehte Live-Shows, das alles fügt sich bei den Holländern nun zu einem großen Ganzen zusammen.
An genau dieser Stelle der Evolution erscheint "Bubble Gum" und zeigt De Staat wiederum verändert. Hatte die Band in der Vergangenheit vereinzelt mit elektronischen Elementen aus zeitgenössischer Pop- und Dancemusik kokettiert, umarmen sie ihre Urbanität nun vollständig und ohne Rücksicht auf Verluste. Jedes Instrument liegt unter fünfzehn Effekten begraben, Soundflächen und Beats bestimmen die Atmosphäre, Torre Florim dreht sogar den Autotune-Regler seiner Stimme auf zehn, natürlich rein ironisch. Der Ersteindruck fällt erschlagend aus - bis man sich Zeit nimmt, den Songs Raum zum Wachsen zu geben. Und dann feststellt: "Bubble Gum" ist ein verdammt geiles Album geworden, vor dessen Hitfaktor es kein Entrinnen gibt.
Das Kätzchen anlockend beginnen De Staat mit "Kitty Kitty", einer gnadenlos groovenden Nummer, die sich unschwer zu erkennen um eine ganz bestimmte Person dreht: "Big deal maker / Orange entertainer / (...) / Swear me in, hater" Schwingen Sie die Hufe, Mr. President! Im ganzen Song findet man aufgrund der erwähnten Effekte zunächst keinen einzigen Gitarrenton - und das steht symptomatisch für die komplette Platte. Rockmusik war gestern, heute regiert ein elektronisches, urbanes Songefühl. Und das Keyboard von Rocco Bell. Bemerkenswert, wie die Holländer in diesem Song die Elemente übereinander schichten und das Stück nach hinten raus einen eigenartigen, rasenden Sog bekommt.
Mitten hinein ins Clubleben entführt uns dann "Fake It Till You Make It". Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Teil in einer Mainstream-Disco negativ auffallen würde. Anfangs angewidert, konnte ich mich den geilen Melodiebögen doch nicht entziehen. Das ist der De-Staat-Effekt, für ihre Grenzenlosigkeit muss man die Band einfach lieben. Anschließend fährt "Mona Mona" den Fuzz-Sound der Gitarren auf zehn hoch und gibt Rocco Raum, um seinen analogen Synthesizer pluckern zu lassen.
Rhythmik schreibt man in Nijmegen bereits seit dem ersten Album groß, und auch De Staats fünftes ist voll davon. "I'm Out Of Your Mind" kredenzt ein besonders vertracktes Exemplar mit hübscher Offbeat-Betonung. Jeder Song auf "Bubble Gum" überrascht durch irgendeine Besonderheit, einen abgefahrenen Einfall oder einfach einen Sound, den man so nicht erwartet. Wie beschreibt man ein irres Stück wie "Pikachu"? Der geneigte Schreiber stößt dort an seine sprachlichen Grenzen: "You know you're all good / Hollywood / Party like you should / I'll be that quiet boy in the back / Quiet in the back".
Gab es in der Vergangenheit schon Flirts mit Hollands Techno-Spielarten, macht "Me Time" im Schlussteil keine Gefangenen mehr und geht als Hardstyle-Monster durchs Ziel. Weh Teh Eff, Alter, diese Band muss in eine Anstalt. Müßig, jeden Song einzeln zu analysieren, Großartitschkeit bietet jeder. Ein letztes Novum präsentieren De Staat in "Tie Me Down". Dort arbeitet Frontmann Torre Florim erstmals mit einer Duettpartnerin zusammen, der Amsterdamer Musikerin Luwten. Das Ergebnis überzeugt und man darf gespannt sein, ob solche Kollaborationen zukünftig zum festen Bestandteil des Bandsounds gehören werden.
Drop that Fazit: Mit "Bubble Gum" veröffentlichen De Staat ein Album, das Zeit und Eingewöhnung erfordert und dann zu etwas ganz Großem heranwächst, das man immer wieder anhören möchte. Solche Platten sind bekanntlich jene, auf die man in einigen Jahren oder Jahrzehnten als Klassiker zurückschaut.
3 Kommentare mit einer Antwort
Faszinierend. Bei diesen Songs spüre ich eine riesige Fremdscham, aber zwischendurch sind sie auch mordscool. Weghören kann ich jedenfalls schlecht.
Machinery war super.
Definitiv - viele Songs sind auch nach wie vor bei mir in den playlists im Auto
Kann dem Fazit letztlich nicht zustimmen.
Für mich ist es eines dieser 50:50 Alben - wobei mir das bei fast jedem De Staat Album so ging. Die Jungs machen eine handvoll wirklich großartiger und auch kreativer Songs.
Aber auf der anderen Seite auch eine Mege Songs, die mich einfach nur nerven.
Bubble Gum lässt sich bis "Pikachu" super hören, aber dieser Song ist dann ein Totalausfall für mich. So richtig reizen tut mich ab dann nur noch Level Up. Der Rest ist teils anstrengend, teils irgendwie belanglos.
Btw. "Dort arbeitet Frontmann Torre Florim erstmals mit einer Duettpartnerin zusammen" - die Behauptung ist Falsch. Schon bei "Sweatshop" damals hat Kelly Thijssen ihren Beitrag geleistet.