laut.de-Kritik
Viel Wut im Bauch, aber kaum Finesse.
Review von Holger GrevenbrockDendemann ist zurück und alle haben drauf gewartet, oder? Schwer zu sagen. Die nicht gerade mit ständig neuem Output verwöhnten Fans waren schon verzückt ob der Tatsache, dass Dende den Böhmi in seiner Late Night-Show protegiert. Das Konzept, jede Folge ein paar Schnipsel aus den eigenen Alltagsbeobachtungen preiszugeben, ging erfreulich gut auf. Vielleicht war es für ihn gar das perfekte Medium: Die Möglichkeit, seine Raps auf kleinsten Raum zu verdichten, in der Sample-Auswahl der Vergangenheit zu huldigen und zugleich der Gegenwart seinen Respekt zu bekunden. Jedenfalls war da nicht der Druck, ein fertiges für sich stehendes Werk zu präsentieren. Jetzt ist "Da Nich Für!" doch noch aufgetaucht, und nu?
Zuerst fällt auf, Dende ist mit Wut im Bauch unterwegs. Der King of Nap haut sich eine Runde aufs Ohr. Statt den täglichen Struggle auf Papier zu bringen, zeichnet er ein wenig schmeichelhaftes Bild vom Deutschland der Gegenwart und schreckt vor polemischer Sprache nicht zurück. Ein Umstand, der sich in den Lyrics bemerkbar macht: "Denn er hat immer Vorfahrt, der dringende Reim." Auf der Strecke bleibt das entscheidende Detail, das den kleinen, feinen Unterschied ausmacht, die Alltagsbeobachtungen, die so keinem auf- und einfallen und Dendes entspannter Optimismus, der auf seine Weise weise war.
Logisch, dass der Mut zum Experiment wie auf "Vom Vintage verweht" der Notwendigkeit poetischer Eindeutigkeit Platz macht. Das Ergebnis fällt starr und wenig sexy aus, der Charme seiner Texte blitzt nur noch vereinzelt auf. "Nochn Gedicht" ist so ein Fall und würde dem Dende aus Eins Zwo-Zeiten ebenfalls gut zu Gesicht stehen. Statt träger Rhymes über ein Deutschland am Abgrund, entführt er uns in die Welt seiner Sprache, die grenzenlos leicht scheint: "Das hier ist ein Gedicht, das durch die Blume spricht / Voll ungebremster Zuversicht in Sachen du und ich",
Zeilen wie diese stehen im harten Kontrast zum um Lockerheit bemühten "Littbarski", dem auch Trettmann nicht aus der Patsche hilft, oder das nachhaltig irritierende "Menschine": "Schraube um Schraube, Zahn um Zahn, bis das letzte Rad dreht. Alle Systeme hoch, doch Standby im Herz". Der Alltag der Spezies Mensch wird mehr und mehr von Maschinen dirigiert, und Liebe in Zeiten von Algorithmen und Big Data führt nurmehr ein Nischendasein. Ernsthaft? Verstaubte Sprachbilder und eine gruselige Hook tuen ihr übrigens.
Dass es nicht nur entweder den smoothen, kraft seiner Worte Differenz schaffenden Dendemann von damals gibt oder den von Roboterlogik determinierten Text-Arbeiter, bezeugen dagegen Tracks wie "Keine Parolen", "Zeitumstellung" und - trotz schlimmer Teutilla-Hook - vor allem "Zauberland": "Was bleibt, wenn die Urzellen das Land räumen / Mit nichts in den Händen als entwurzelten Stammbäumen / Und wer sind die Fremden, die daneben stehen / Anstatt die Empathie auf zehn zu drehen/ Die weit gereiste Freiheit leben / Doch zu geizig sein klein beizugeben". Rios abgebranntes Zauberland als Metapher einer in Trümmern liegenden Liebesbeziehung wird umgedeutet in ein von Geiz und Eigennutz erkaltetes Deutschland. Und weil Rio das singt, ist der Kitsch-Verdacht eh vom Tisch.
Wollte man denn sowas wie Mut zum Experiment erkennen, dann in der Auswahl der Samples. Die Liste zitierter Künstler liest sich bunt und divers, neben Rio Reiser überrascht wohl am meisten das Heinz Erhart-Sample, das wunderbar in den Schlusstrack einführt. Ansonsten sind noch Schwesta Ewa dabei, Xatar, MoTrip, Bilderbuch, Slime und Die Goldenen Zitronen und ja, Hildegard Knef, deren zweiter Frühling nun schon eine ganze Weile andauert. Besonders Dende selbst findet im Schaffen der Knef immer wieder den Weg zum eigenen Song geebnet. Doch wo "Insel meiner Angst" noch eine Neuinterpretation des Original-Texts war, gibt Knef auf "Müde" nurmehr die Stichwortgeberin, worauf Dende auf holprigem Beat seiner Verdrossenheit freien Lauf lässt.
Für die Produktion verantwortlich zeichnen in erster Linie The Krauts, aber auch mit Dexter, REAF oder die KitschKrieger im Gepäck gelingt es nicht wirklich den Dende-Sound in die Jetztzeit zu beamen. Das bereits erwähnte "Littbarski" ist der Versuch, eine Ehe mit Trap einzugehen, was nur so mäßig aufgeht. Nicht mal die oft tighten Beats behindern den Flow, sondern die Hooks, die den Tracks viel an Energie und Dynamik rauben, bestes Beispiel wäre "Zeitumstellung", das gerade live und ungefeatured zu überzeugen wusste.
"Ich Dende Also Bin Ich" gibt die Marschroute vor. Dende schlägt ein neues Kapitel auf und verabschiedet sich vom Alter Ego früherer Tage: "Wer isn' der Typ bloß, den du da Dendemann nennst? Stinkt nach Mythos, stinkt nach latenter Latenz". Anders als viele der anderen 90er-MCs tappt er nicht in die Falle, das eigene Erbe abzufeiern und in den good ol' times zu schwelgen.
Sentimentalitäten lässt er maximal in "Wo ich wech bin" zu, der Nostalgiefaktor für die, die denn dabei gewesen sind, ist zweifellos gegeben: "Player-Hater werden Hater sein / Zieh die Hose hoch, du Skater-Schwein / Harte Währung gelber Schein / Ich konnt' mir meinen selber schreiben / Dis is' das Zentrum, dis' is unsere Spaßfabrik / Dis is' Keuning-Haus, dis is Monster Mastership.". Hip Hop als wachsende Graswurzelbewegung aus dem Mittelstand, unschuldige Zeiten in denen Baggies provozierten und die Skyline noch "vom Bordstein bis zum Kerzenwachs" reichte.
Aber die Zeiten sind nun mal vorbei. Der selbsternannte "Spätzünder" ist erwachsen, und mit ihm, scheint es, seine Musik, die mehr denn je als Vehikel einer Message funktioniert. Waren die sonst entlegensten Orte seines mäandernden Sprachflusses der Grund, die Reise anzutreten, steht jetzt das Ankommen an erster Stelle. "Da Nich Für" ist der Versuch, die eigene Musik aus der Bubble zu befreien. Die wöchentlich erscheinenden Rappenings bei ZDf Neo Royale und auch einige der hier platzierten Songs haben gezeigt, dass da was gehen kann. Für die Zukunft bleibt es daher spannend, was sich Dende noch so einfallen lässt.
24 Kommentare mit 38 Antworten
3/5 passt.
Intro stark, casper feat auch. keine parolen sowieso (abgesehen von der zweiten hälfte). "Drauf und Dran" stark. "Wo ich wech bin" bester Song.
Dafür sind das "Beginner Feature" und "Littbarski" so dermassen schlecht, dass man hier 2 Sterne abziehen muss.
Auch für mich eine 3 / 5. Die 3 hätte er ungehört bekommen, aber zu mehr langt es dann für mich leider nicht. Vielleicht weil die Vorfreude so groß war und die Erwartung zu hoch. Aber auch ein mittelprächtiger Dende ist immer ein toller Dende.
1/5 sollte klar sein.
Da nich für!
si claro
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Als ob ihr das Deep-Purple-Sample in „Keine Parolen” nicht bemerkt habt. Schämt euch.
Eigene Beats statt Stangenware, weniger peinliche Features und ein Hunger für mehr als die erste Albumhälfte hätten Dende und meiner Rapseele sehr gut getan. So nach einer Woche nie wieder gehört...