laut.de-Kritik
Let there be Prog!
Review von Yan VogelDas Kürzel "DT" dürfte dem Label Inside Out in diesem Jahr ein dickes Plus verschaffen. Nach "Distance Over Time" der New Yorker Prog-Institution Dream Theater, hievt nun Devin Townsend sein neues Opus "Empath" analog wie digital ins kulturelle Gedächtnis.
Townsend ist seit seinem Debüt "Ocean Machine" dafür bekannt, mit Highspeed und komplettem Fuhrpark durch die Seitenstraßen der Musik zu brausen. Manchmal auch zu tingeln oder zu schlingern, wie Kritiker angesichts der letzten Alben anmerkten. Produktionstechnisch ohne Zweifel erhaben, schlich sich musikalisch ein wenig der Schlendrian ein.
"Transcendence" markiert hierbei End- und Wendepunkt zugleich. Das Ende des Devin Townsend Projektes macht den Weg frei für ein schrankenloses Album. Alle Antennen richtet der Endvierziger auf Empfang. Ob nun viel neu ist, wie Townsend betont, oder ob es nur den Backkatalog reframet, spielt keine Rolle. Tatsache ist, dass "Empath" vor Spielfreude und überschwänglicher Grundhaltung nur so strotzt.
Einem mit reichlich naturalistischem Sounddesign dahinplätschernden Intro folgt das programmatisch betitelte "Genesis". Das bildet fast schon dokumentarisch den Karriereverlauf des Tausendsassas ab. Mörderischer Gummizellen-Pogo à la Strapping Young Lad trifft auf den Witz von "Synchestra", ebnet den Weg für Klanglandschaften der Marke "Terria" und mündet in einen Refrain, in dem Townsend wie einst Bon Scott das Licht anknipst. Let there be Prog, so lautet die Losung.
"Spirits Will Collide" und "Evermore" nehmen danach ein wenig die Luft raus und zügeln den Wahnsinn mit klaren Strukturen und einprägsamen Melodien. "Sprite" versprüht die Leichtigkeit seines Seitenprojektes Casualties Of Cool.
In "Hear Me" singt ein gewisser Chad Kroeger ein paar Backgrounds. Wem ob der Kollaboration mit dem Nickelback-Fronter die Zornesröte ins Gesicht steigt, dem sei der Genuss des Titels empfohlen. Die Läuterung folgt angesichts des Hirnhälften-Massakers auf dem Fuß. Das einem klassischen Orchesterlied entlehnte "Why?" spickt Heavy Devy mit Black Metal-Growls bevor "Borderlands" endgültig mit seinem Country-Groove und Loslass-Feeling die Welt auf den Kopf stellt.
Die vielen Stile bettet Townsend höchst individuell in den Mix ein und schert dabei nichts über einen Klang-Kamm. Dafür sorgen allein schon drei Schlagzeuger: Morgan Ågren (Frank Zappa) spielt die jazzigen, ruhigen und improvisatorischen Momente. Anup Sastry (Monuments, Periphery) verleiht den proggigen Passagen Kontur, während Samus Paulicelli (Decrepit Birth, Abigail Williams) den kompromisslosen Metal-Parts Leben und Tod einhaucht.
Alles kulminiert und kollabiert im Closer "Singularity". Dieser 23-minütige Koloss deckt nochmals sämtliche Facetten ab. Die Dynamik reicht von orchestralen New Age-Fantasien und himmelhochjauchzenden Melodien bis hin zum Reich der Finsternis, wie sie auf dem Grund des Marianengrabens herrscht.
Dieser musikalische Overkill sprengt alle Grenzen und steht selbst in der vielgestaltigen Progwelt für sich. Darin liegt natürlich auch die Gefahr für Außenstehende. Dieses Unikat spaltet Schädel, geht auf die Nerven und tut weh wie ein Marathon, belohnt aber am Ende mit einer außerordentlichen Klangvielfalt, wie sie in dieser Form nur noch King Crimson bietet.
6 Kommentare mit 2 Antworten
Erstes Querhören offenbart eine immense Fülle an Ideen. Soviel Chaos und Kreativität gab's zuletzt bei Deconstruction. Auch der Mix geht dank Nollys heilender Hände wieder klar.
Bin nach wie vor kein Freund der allzu pompösen Operschiene, die er so gerne fährt, aber das Album ist definitiv unignorierbar.
Nachdem ich etwas enttäuscht von der letzten DTP Scheibe war, bin ich eher verhalten hier rangegangen. Aber der (scheinbar wiederentdeckte) kontrollierte Wahnsinn hat mich umgehauen. Dazu noch wirklich geile Gesangsmelodien. Respekt für so ein Album!
Allerdings war das mein erster Durchlauf. Die Langzeitwirkung wird sich erst noch zeigen, aber meine Vermutung ist ein großer Daumen nach oben.
Also ich bin absolut positiv überrascht. Genesis hat mich schon den ein oder anderen Lusttropfen versprühen lassen, aber das ganze Ding am Stück ist noch geiler! Da kommt alles zusammen zu einem großen und homogenen Ganzen, sowohl der Sound als auch das Songwriting.
Wie der Devin hier die wildesten Genre-Ausflüge miteinander verknüpft ist echt genial. Und selbst die operetten-hafteren Abschnitte (bzw. Songs) kommen richtig nice und Devy beweist sein unglaubliches Gesangstalent.
Komplett geile Scheibe nach 3 Mal anhören - kann mir aber gut vorstellen, dass sie sich auch auf Dauer hält bei der Masse an Dingen, die der Hörer entdecken kann...
Btw: Wie kriegt der das immer hin, dass trotz der schieren Masse an Soundspuren trotzdem alles perfekt zur Geltung kommt und nichts untergeht? Das schaffen andere nicht mal mit Gitarre Bass und Schlagzeug (looking at you, St. Anger ).
"Wie kriegt der das immer hin, dass trotz der schieren Masse an Soundspuren trotzdem alles perfekt zur Geltung kommt und nichts untergeht?"
Er kriegt's eben nicht immer hin, eher im Gegenteil. Die Alben, bei denen er selbst sein eigener Engineer/Mixer/Producer war, klingen tendenziell schlechter. Epicloud und Sky Blue stechen für mich da besonders negativ heraus, was matschige Klangsoße betrifft. Mag sicherlich auch mit dem Songmaterial zu tun haben.
Hast natürlich Recht.
Streich das "immer" und wir sind uns wahrscheinlich einig.
Haut zumindest mich vom Hocker. Extrem gutes Album vom Prog Magier.
Props dafür, dass er es zum ersten mal seit dem Ki-Album wieder geschafft hat, so abzumischen, dass man nicht instant mit doppeltem Hörsturz davonläuft.
Inhaltlich seine eigene Best-Of bzw. All-Of, kommt aber von den Songs her nicht ganz an einzelne frühere Highlights.
Jetzt nicht böse sein ....Die wirklich geilen Songs gibts auf CD 2 !!! Naja...aber nach einer Woche HeavyDevyEmpathRotation..